Begegnungen (Das Kleeblatt)
suchte Adrians Blick. Eine prickelnde Vorahnung stieg in ihr auf. Aber sie hätte nicht sagen können, was genau sie jetzt vom Allmächtigen erwartete. Donnergrollen? Eine majestätische Trompetenfanfare? Oder fassungsloses Gelächter?
Sie wartete mehr als bloß einen Moment auf eine Reaktion. Die blieb selbst dann noch aus, als sie einen Schritt näher trat. Das Schweigen dehnte sich in die Länge – und ihre Nerven dehnten sich mit, während Adrian sie mit ausdrucksloser Miene von Kopf bis Fuß betrachtete. Vergeblich wünschte sie seine Gedanken lesen zu können, hoffte sie auf ein kleines Lächeln oder wenigstens den Anschein von Freude. Sogar ein verlogener, scheinheiliger Kommentar wäre ihr heute lieber als alle Aufrichtigkeit dieser Welt gewesen.
Aber sein einst offenes Gesicht hielt Adrian unter einer starren Maske verborgen. Und dabei war es gerade seine Vertrauen erweckende Geradlinigkeit gewesen, in die sie sich bei ihrer ersten Begegnung auf Anhieb verliebt hatte. Diese Zeit schien eine Ewigkeit zurückzuliegen. Adrian hatte sich seiner Frau längst völlig verschlossen, ließ sie nicht mehr teilhaben an seinem Gefühlsleben.
Er nickte kurz und stieß einen leisen Pfiff aus. „Aha, schwanger also“, wiederholte er ungerührt. „Ich habe mich schon gefragt, wann du es mir sagen würdest.“
Sie war dermaßen verwirrt, dass sie nicht wusste, was sie darauf erwidern sollte. Natürlich hatte sie eine Vorstellung von dem, was sie ihm gern an den Kopf geknallt hätte. Ich liebe dich! Diese Worte wollte sie ihm entgegen schleudern wie einen Stein, der die Glaswand seiner Gleichgültigkeit zerbrechen sollte. Ich liebe dich und dieses Kind soll einen Vater haben! Nicht irgendeinen, sondern dich! Wir brauchen dich!
Verzweiflung stieg in ihr auf. Konnte er denn nicht ermessen, was diese Schwangerschaft für sie bedeutete? Vor einem Jahr noch hatten ihr mehrere Ärzte bescheinigt, dass sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Kinder mehr bekommen könnte. Nicht einmal als ihre Regel ausblieb, hatte sie deshalb eine Schwangerschaft in Betracht gezogen. Richtig stutzig geworden war sie erst, als sie eines Morgens mehr Zeit auf der Toilette der Nachrichtenzentrale als an ihrem Fernschreiber verbracht hatte. Und dann war sie bei der Bestätigung ihrer Vermutung durch den Gynäkologen zunächst vor Freude außer sich gewesen. Erst an zweiter Stelle hatte sich die Angst vor einer erneuten Fehlgeburt aufgedrängt.
Bis Freude und Angst im Laufe der letzten Tage niedergewalzt wurden von ihrer immer mächtiger werdenden Furcht vor der ungewissen Reaktion ihres Mannes auf diese Neuigkeit.
Zu Recht, wie sie nun erkannte.
S ie konnte nicht länger weinen oder fluchen, schreien oder toben. Sie versteinerte bei Adrians Antwort.
„ Soll das heißen, du hast es bereits gewusst? Wer hat dir davon erzählt?“
Mit einer beinahe zornigen Ungeduld darüber, dass er sich hartnäckig in sein gewohntes Schweigen hüllte, musterte sie ihn scharf. Sollte Clausing mit ihm darüber geredet haben? Sie würde diesem elenden Verräter den Hals umdrehen! Das würde sie ihm nie verzeihen! Auch das würde sie ihm nicht verzeihen. Er hatte ihr versprochen, ihre Schwangerschaft nicht zu erwähnen, solange sie nicht mit Adrian geredet hatte.
Wie naiv von ihr, ihm zu glauben! Ihm nach allem noch immer zu glauben! Als wüsste sie nicht genau, was sie von seinen Versprechen zu halten hatte. Und dabei war sie schon im Begriff gewesen , ihm zu vertrauen. Was hatte er an sich, dass sie ständig auf seine süßen, einlullenden Worte hereinfiel?
„Das hat uns gerade noch gefehlt. Du bekommst also ein Kind.“
„Ganz genau so ist es“, bestätigte sie schnippisch.
„Ein Kind. Von einem Taugenichts! Einem Alkoholkranken! Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, was das bedeutet? Was sollen die Leute von dir denken?“, fuhr er sie mit finsterer Miene an.
Noch einmal nahm sie all ihren Mut zusammen und trat einen weiteren Schritt auf ihn zu. „Hör endlich auf damit, schlecht von dir zu reden! Niemand sonst denkt so von dir. Aber ich will dir etwas sagen: Ich bezweifle nicht, dass dir außerhalb deiner Kombüse … äh, der Hotelküche etwas fehlt, doch du hast panische Angst davor, danach zu suchen. In deiner typisch unreifen, emotionalen Art redest du dir ein, dass mit dir etwas nicht stimmt und dass du es deswegen nicht finden wirst. Du hattest als Kind keine familiären Bindungen, wie könntest du also jemals eine
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