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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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Eine Ansammlung undefinierbarer Produkte, Pulver, Tinkturen und Kräuter wurde in Glasgefäßen feilgeboten. Sie erkannte Schwalbennester und Haifischflossen zwischen anderen Tier- oder Pflanzenteilen.
    Ihr Blick fiel auf einen Berg Hühnerfüße, der einen durchdringenden Gestank verströmte. Sie hätte sich am liebsten die Nase zugehalten. Sie ging bis zu einem Geschäft für Opfergaben, das von der Decke bis zum Boden in Rot gehalten war, geschmückt mit unzähligen alten chinesischen Laternen. Mit Handzeichen machte sie der Verkäuferin, einer beleibten Dame mit aufgedunsenem Gesicht, verständlich, dass sie die Adresse suchte, die auf dem Zettel stand. Mit einem Arm, der so dick war wie ein Oberschenkel, deutete die Frau nach Osten. Cyrille bedankte sich und setzte ihren kräftezehrenden Weg fort.
    Sie wandte sich nach links in eine sauberere Gasse, in der Textilien verkauft wurden, anschließend nach rechts und wieder nach rechts. Sie war sicher, hier bereits gewesen zu sein. Lautes Stimmengewirr umgab sie, ihr war heiß, und sie fand sich nicht mehr zurecht. Sie hatte sich verlaufen. An einem Stand mit DVDs, Kassetten und Videospielen legte sie eine Pause ein. In der Annahme, ein Geschäft machen zu können, schaltete der Händler einen Lautsprecher ein, aus dem der letzte Hit von Madonna ertönte. Cyrille zuckte zusammen und ging weiter.
    Sie beschloss, auf die Hauptstraße zurückzukehren und noch einmal von vorn anzufangen. Sie bog erneut nach rechts ab und befand sich wieder auf der breiteren Straße, genau an der Stelle, wo das Taxi sie eine Stunde zuvor abgesetzt hatte. Wieder zeigte sie ihren Zettel, dieses Mal einem Bonbonverkäufer, der ihr bedeutete, geradeaus zu gehen. Mit schmerzenden Füßen lief sie erneut an den Ständen entlang. In den Parallelgassen saßen Einheimische vor kleinen Garküchen und verschlangen laut schlürfend dampfende Nudelsuppen. Ihr wurde bewusst, dass sie Hunger hatte. Ihre Augen brannten. Nach hundert Metern fragte sie erneut nach dem Weg, dieses Mal schickte man sie nach links. Irgendwann gab es weniger Geschäfte, der Lärm nahm ab, und sie fand sich plötzlich in einem Wohnviertel mit traditionellen Holzhäusern wieder. In einer dunklen Passage spielten Kinder Fußball. Auch sie lasen den Zettel, den ihnen die Touristin hinhielt, und stießen einander kichernd an. Der Älteste von ihnen bedeutete der weißen Frau, ihm zu folgen. Er lief bis zu einem alten Haus aus rotem Teakholz und zappelte lachend herum. »Doctor here, doctor here . « Cyrille gab ihm ein paar Baht und betrachtete die Fassade, vor der sie stand.
    Es war ein wackeliges Gebäude, das wie durch ein Wunder nicht in sich zusammenbrach. Der einzige Schmuck war ein Ahnenaltar, in dem Weihrauchstäbchen steckten, sowie eine mickerige Palme. Hier also lebte Sanouk Arom, der berühmte Gedächtnisspezialist. Das Haus wirkte alles andere als ärmlich und hatte mit seinem schönen traditionellen Tragwerk aus Teakholz und seinem Pagodendach sicher glorreichere Zeiten gekannt. Aber es machte einen vernachlässigten Eindruck. Die Holztür war verzogen und schloss nicht mehr richtig, die Fassade von Insekten zerfressen, und die Scheiben der beiden hohen Fenster waren mit einer dicken Schmutzschicht überzogen.
    Cyrille steuerte mit entschiedenem Schritt auf die Tür zu. Es war nicht ihre Art, unangemeldet irgendwo aufzukreuzen. Obgleich sie sich völlig im Recht fühlte, empfand sie ein gewisses Unbehagen, hierherzukommen und um Erklärungen zu bitten. Sie zwang sich, so an den Professor zu denken, wie sie ihn bei der Videokonferenz erlebt hatte, und diese Vorstellung beruhigte sie. Sie stieg die zwei Stufen zur Veranda hinauf und drückte auf einen altmodischen Klingelknopf. Es dauerte nicht lange, bis sich die Tür quietschend öffnete.
    Ein schriller, Unheil verkündender Klagelaut.
    Sie rechnete damit, einen Bediensteten zu sehen, doch Professor Arom erschien höchstpersönlich. Mit seinem gebeugten Rücken, seinem weißen, zu langen Haar und seinem zerfurchten Gesicht hätte man ihn für einen Hundertjährigen halten können. Er öffnete sein gesundes Auge. Für den Bruchteil einer Sekunde flammte Wut in seinem Blick auf, und der gesunde Mundwinkel verzog sich. Die Höflichkeit gewann jedoch sofort wieder die Oberhand, und die Grimasse verwandelte sich in ein gezwungenes Lächeln.
    »Liebe Frau Doktor Blake, was verschafft mir die Ehre?«
    Die Tatsache, dass Sie mich versetzt haben!, hätte sie am liebsten

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