Begraben
ich hätte ihn vor zehn Jahren selbst darum gebeten.«
»Glaubst du das?«
Cyrille sah ihren ehemaligen Patienten traurig an. Dann schob sie ihren dunklen Pony beiseite.
»Schau her.«
Julien kniff die Augen zusammen. Trotz der einbrechenden Dunkelheit erkannte er deutlich kleine braune Punkte auf der weißen Haut.
»Siehst du?«, sagte sie wütend. »Das ist nicht angeboren, sondern es sind die Narben der Operation, die du gerade beobachtest hast. Das war er. Ich habe eines der armen Kinder untersucht, es hatte dieselben Male. Aber ich … ich hatte Glück und bin davongekommen.«
Julien betrachtete sie verblüfft.
Cyrille setzte sich und fuhr fort:
»Wir müssen möglichst Beweise gegen dieses Monster sammeln und dann schnell verschwinden.«
»Und wie?«
»Wir warten, bis es Nacht wird, schleichen uns dann in sein Arbeitszimmer und setzen ihn außer Gefecht.«
Cyrille zog die Knie an.
»Ich möchte auch etwas versuchen.«
»Was?«
»Wenn er die Erinnerungen auf diese Art auslöscht, muss man sie auf dieselbe Weise wieder aktivieren können.«
Julien musterte Cyrille aufmerksam. Sie schien entschlossen.
»Willst du es an dir selbst versuchen?«
»Ja, wenn er irgendwo meine Krankenakte aufbewahrt hat, müsste ich mit dem Kernspin die richtigen Zonen stimulieren können. So geht Arom vor. Es dauert nicht länger als zehn Minuten. Entweder funktioniert es oder nicht. Das werden wir dann ja sehen.«
Julien nickte.
»Dann will ich es auch versuchen.«
Cyrille hob den Blick.
»Du?«
»Ich habe zwar keine Krankenakte, aber ich will es trotzdem probieren …«
Sie sahen sich schweigend an.
»Warum nicht?«, stimmte sie dann zu, »schließlich hatten die Kinder, die Arom behandelt hat, auch kein Stimulationsprotokoll bei sich.«
48
Rama Supachai saß angekleidet auf der bequemen Zahnarztliege in seinem Arbeitszimmer und war eingeschlafen. Wenn er mit neuen Forschungsprojekten beschäftigt war, übernachtete er oft hier. Sein letzter Versuch an der jungen Prostituierten aus Ko Samui war wieder ein Misserfolg gewesen. Jetzt musste er seine Ratten überwachen. Eine programmierte Zeituhr klingelte alle zwei Stunden, damit er die Werte der Nager überprüfen und den Kolben der Spritze etwas tiefer hinunterdrücken konnte. Er war dabei, eine medikamentöse Behandlung zu testen, die der Lasertechnik gleichwertig sein sollte. Vorerst waren die Ergebnisse zu wenig eindeutig, um irgendwelche Experimente an Menschen vornehmen zu können. Was ihn jetzt aus dem Schlaf riss, war allerdings nicht sein Wecker, sondern das Gefühl zu ersticken. Er öffnete die Augen und wollte sich aufrichten. Unmöglich! Es dauerte eine Weile, bis er begriffen hatte warum. Seine Beine waren mit einem dicken Strick an der Liege festgebunden, seine Arme über dem Kopf gefesselt. Und ein breiter Streifen Klebeband hinderte ihn daran, den Mund zu öffnen. Vergeblich versuchte er, den Kopf zu bewegen. Stirn und Kinn waren ebenfalls mit Packband am Stuhl festgeklebt. Er riss die Augen auf und atmete heftig durch die Nase. Hinter sich nahm er Bewegungen und Schritte wahr. Er verrenkte sich, um irgendetwas sehen zu können. Ein feuchtes Tuch wurde ihm auf die Nase gedrückt. Er kannte den Geruch. Das war das Betäubungsmittel, das er für die Tiere verwendete. Er versuchte, sich zur Wehr zu setzen … aber nicht lange.
Cyrille warf das chloroformgetränkte Tuch weg. Wenn sie schnell Beweise finden würden, wären sie verschwunden, ehe Supachai wieder zu sich käme.
»Such überall nach Unterlagen, die mit Versuchen an Menschen zu tun haben könnten«, rief sie Julien zu. »Ich nehme mir den Computer vor!«
Julien öffnete alle Schränke, sah in den Fächern und Kartons am Fußboden nach. Doch er fand nur Labormaterial. In einem Sekretär lag ein Stapel Veröffentlichungen, bei denen es um das Gedächtnis ging, in den Regalen standen medizinische Fachbücher. Dann wandte er sich den Schubladen von Supachais Metallschreibtisch zu, der eher an einen Autopsietisch erinnerte. Der Neurochirurg hatte es nicht für nötig gehalten, sie abzuschließen, da er sich offenbar nicht bedroht fühlte. Julien fand Stöße von Papieren und Gläser mit in Formalin konservierten Gehirnteilen von Mäusen, aber nichts, was die Patienten betraf. Cyrille nahm sich einen Hängeordner vor, der ebenfalls nicht gesichert war. Zehn Minuten vergingen.
Dann trat Cyrille in den MRT-Raum, wo Supachai seine Versuche an den Kindern durchführte. Eine
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