Begraben
abschließen, möchte ich noch gerne von einem Fall berichten.«
Sie stellte kurz Julien Daumas vor, ehemaliger Patient aus Sainte-Félicité, dessen Behandlung sich als nicht einfach erwies.
»Ich habe beschlossen, ihn an die Psychiatrie Sainte-Anne zu überweisen. Es ist das erste Mal, dass so etwas bei uns vorkommt. Deshalb wollte ich Sie alle davon in Kenntnis setzen.«
»Ich halte Ihre Vorgehensweise für vernünftig«, stimmte Panis zu. »Ich glaube nicht, dass die übrigen Patienten es gutheißen würden, wenn sie mit Menschen in Berührung kämen, die eigentlich in die Psychiatrie gehören.«
Die anderen Ärzte pflichteten ihm bei.
»Ich sehe das genauso«, bekräftigte Cyrille. »Das Zentrum wendet sich an geistig gesunde Menschen, die sich in einer akuten Krise befinden. Das dürfen wir nicht vergessen.«
Das allgemeine Stühlescharren zeigte, dass die Sitzung beendet war. Cyrille war erleichtert. Ihr Gehirn arbeitete vollkommen normal, und sie hatte die Situation im Griff. Sie eilte den Gang entlang, um die drei für den Vormittag anstehenden Behandlungen durchzuführen. Anschließend würde sie sich voll und ganz dem Philosophen widmen, mit dem sie um dreizehn Uhr zu Mittag essen würde.
*
Marie-Jeannes bunte, unförmige Umhängetasche lag auf dem Schreibtisch. Sie selbst saß neben einer alten Dame auf der Couch im Wartezimmer und redete sanft auf sie ein.
»Guten Morgen, Madame Planck, was ist passiert?«, erkundigte sich Cyrille, als sie eintrat.
»Ihre Nichte hilft mir freundlicherweise dabei, mich an ein Gedicht aus meiner Kindheit zu erinnern. Mein Gedächtnis spielt mir mal wieder einen Streich.«
»Kommen Sie, ich bin vom Gegenteil überzeugt und sicher, dass Sie Fortschritte gemacht haben, seit Sie mit dem Gehirnjogging begonnen haben.«
»Also, ich konnte noch keine Besserung feststellen.«
»Na, das werden wir uns mal gemeinsam ansehen.«
Eine Dreiviertelstunde später begleitete Cyrille ihre nun wieder hoffnungsvolle Patientin zur Tür.
»Ist Julien Daumas noch nicht da?«
Marie-Jeanne sah sie mit großen Augen an.
»Nein, er wird sich wohl etwas verspäten.«
»Heute können wir uns so etwas nicht erlauben«, meinte Cyrille mit einem Blick auf die kleine Uhr, die an der Wand gegenüber ihrem Sprechzimmer hing. Sie hatte extra nur Termine für den Vormittag ausgemacht, um am Nachmittag den Vortrag organisieren zu können.
»Wann kommt mein letzter Patient?«
»Zehn Uhr dreißig.«
»Der Plan wird auf keinen Fall verschoben. Wir warten noch eine Viertelstunde, und danach rufst du ihn an.«
Sobald Cyrille ihr den Rücken zuwandte, begann Marie-Jeanne eine Nachricht in ihr Handy zu tippen. Cyrille hatte ihr einen ausgezeichneten Vorwand geliefert, um sich mit Julien in Verbindung zu setzen. Sie schickte ihm eine SMS und wartete. Nichts. Keine Antwort. Kein hoffnungsvolles Piepsen.
Die Minuten verstrichen, und Marie-Jeanne ließ die Zeiger der Uhr nur aus den Augen, um ihre E-Mails zu checken. Plötzlich blinkte das Fenster des Windows Messenger Programms MSN auf ihrem Bildschirm. Moune, eine ihrer Freundinnen, mit der sie abends häufig unterwegs war und die in einem Videoclub arbeitete, hatte ihr eine Mail geschickt.
»Und??? Erzähl!!!«
Marie-Jeanne sah nach, ob die Tür zum Büro ihrer Tante auch wirklich geschlossen war. Sie hatte keine große Lust, dass Cyrille sie während ihrer Arbeitszeit beim Chatten erwischte. In aller Eile tippte sie, ein Lächeln auf den Lippen, eine Antwort:
»Er ist unglaublich schön, unglaublich toll … ein echter Surfer!!!!!« Sie schickte die Nachricht ab. Mounes Antwort kam umgehend:
»Wow … und was habt ihr gemacht?«
Marie-Jeanne: »Was getrunken, bei Luigi und bei mir.«
Moune: »… und???«
Marie-Jeanne: »Nicht viel.«
Moune: »Hast du nicht mit ihm geschlafen?«
Marie-Jeanne: »Not really.«
Moune: »Werdet ihr euch wiedersehen?«
Marie-Jeanne: »Hope so. Ciao. Muss arbeiten.«
Marie-Jeanne ging bei MSN offline und wählte sich bei Facebook ein. Ins Suchfenster schrieb sie »Julien Daumas«. Nichts. Sie wiederholte ihre Anfrage bei Google, mehr als eintausendvierhundert Ergebnisse erschienen. Sie klickte auf den ersten Eintrag und landete auf der Website der Fotoagentur Ultra Vision. Ein Abschnitt war den schönsten zum Verkauf stehenden Fotos vorbehalten. Marie-Jeanne bewunderte eine herrliche Aufnahme, gigantische Wellen an einem stürmischen Tag. Julien verkörperte all das, was ihr fehlte: Flucht aus
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