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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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Geräusch, keine Bewegung im Inneren. Sie klopfte lauter. »Julien! Ich bin es, Doktor Blake!« Stille war die einzige Antwort.
    Sie schluckte und schob keuchend den flachen Schlüssel, den sie fest umklammert hielt, in das Schloss. Die Tür war nicht abgesperrt – schlechtes Zeichen – und ließ sich mühelos öffnen.
    »Monsieur Daumas?«, rief sie und stieß die Tür auf.
    Ihre Stimme klang dünn und heiser.
    »Monsieur Daumas«, wiederholte sie, erneut erfolglos. Sie tastete nach dem Lichtschalter rechts neben der Tür und drückte darauf. Ein schwacher blauer Schein erhellte ein Zweisitzersofa an der Wand, davor standen ein Couchtisch und Sessel verschiedener Größe. Langsam und mit angehaltenem Atem ging sie weiter. Das Wort »Julien!« erstarb auf ihren Lippen. Dunkle Flecke überlagerten die Möbel. Sie rümpfte die Nase, als sie den Geruch von Katzenurin wahrnahm. Die Fensterläden waren fest verschlossen, sie müsste sie öffnen. Plötzlich bewegte sich auf der Couch ein schwarzer Schatten. Cyrille zuckte zusammen.
    Beruhige dich, das ist nur eine Katze. Sie setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. »Los, verschwinde, du hast hier nichts zu suchen«, flüsterte ihr eine innere Stimme zu. »Du bist in Gefahr!« Cyrille überhörte sie. Sie stieß mit dem Knie gegen einen Stuhl. Autsch! Eine Katze sprang mit einem Satz auf ein anderes Möbelstück, einen Beistelltisch vielleicht, und löste das feindselige Fauchen eines weiteren Phantoms aus. Mit wenigen Schritten war Cyrille Blake am Fenster und rüttelte an der Klinke. Ein Gefühl des Unwohlseins überkam sie. Instinktiv wusste sie, dass hier etwas nicht stimmte, dass es etwas Anormales gab, aber was?
    Sie versuchte, den Fenstergriff zu drehen, doch er war eingerostet. Ihre Finger zitterten, aber ihr Verstand befahl ihr, sich umzudrehen und herauszufinden, was ihr Unbehagen auslöste.
    Und in diesem Augenblick begriff sie.
    Sie hatte die Silhouetten der Katzen gesehen.
    Sie hatte ihr Miauen gehört.
    Sie hatte ihren Geruch wahrgenommen.
    Aber sie hatte ihre Augen nicht funkeln sehen.
    Angst überkam sie. Sie wandte sich wieder zum Fenster und rüttelte mit aller Kraft an der Klinke, die schließlich nachgab. Frische Luft drang in den stickigen Raum. Sie hob den rostigen Riegel der Fensterläden und öffnete sie weit. Draußen wurde es Abend. Ein milchiges Licht fiel in den kleinen ordentlichen Salon; der Boden war mit schweren Orientteppichen bedeckt, die Wände mit vollgestopften Bücherregalen. Und mindestens vier Straßenkatzen hockten auf den Möbeln. Die Tiere schienen gesund und gut genährt, das Fell glänzte. Ein getigerter Kater sprang von der Armlehne des Sessels und näherte sich ihr vorsichtig. Er hinkte, ein Stück seines linken Hinterbeins fehlte. Leise miauend, mit rundem Rücken und aufgestelltem Schwanz rieb er sich an ihren Beinen. Cyrille bückte sich, streichelte seinen Kopf und richtete sich wieder auf. Seine Augenlider waren fest geschlossen. Der Ärztin wurde schwer ums Herz. Armes Tier. Offenbar hatte Julien Dumas seine Wohnung zum Unterschlupf für missgebildete Tiere gemacht.
    Cyrille sah sich aufmerksam um. Das Wohnzimmer war nicht größer als zehn Quadratmeter. Neben dem Sofa eine geschlossene Tür. Die Toilette? Das Schlafzimmer? Cyrille trat näher. Träumte sie, oder hörte sie auf der anderen Seite den leisen Klang eines Radios? »Julien?«, rief sie und klopfte an die Tür. Auf das Schlimmste gefasst, drehte Cyrille den Knauf. Sie hasste es, wenn Kommissare in Fernsehkrimis eine Wohnung durchsuchten. Das strapazierte ihre Nerven. Und nun tat sie es selbst. Sie hielt den Atem an. Hinter der Tür, die sich mühelos öffnen ließ, empfing sie tiefes Schwarz und das Geräusch eines Radios. Diesmal fand sie den Lichtschalter auf Anhieb. Eine Glühbirne tauchte das Zimmer in grelles Licht. Ein Bett, ein Schreibtisch, keine Menschenseele. In einer Ecke des Raums eine Dusche und ein Waschbecken. Cyrille trat näher. Und plötzlich krampfte sich ihr Magen zusammen, eine brennende Flüssigkeit stieg in ihrer Kehle auf. Hypnotisiert von dem, was sie sah, trat sie näher. Mein Gott!
    Überall im Becken, auf dem Wasserhahn und am Spiegel war Blut. Eisige Kälte kroch ihr den Rücken hinauf. Sie nahm einen Geruch nach Eisen wahr. Sie hob den Kopf, und da sah sie es. Auf einer kleinen Glasplatte lagen chirurgische Instrumente. Ein Skalpell, ein Spreizer, eine gebogene Schere, eine Klemme … befleckte Latexhandschuhe … Ihr

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