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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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Tante den Schock an, der Glanz ihrer Augen war erloschen.
    »Was ist los?«
    Cyrille fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
    »Kannst du ein Geheimnis wahren? Niemand in der Klinik darf von dem erfahren, was ich dir jetzt anvertraue. Aber ich brauche deine Hilfe, also sage ich es dir.«
    Marie-Jeanne nickte schnell.
    »Zuerst musst du meinen für den fünfzehnten nach Bangkok gebuchten Flug annullieren.«

29
     
    Das Stück Teppichboden, das die Polizisten herausgeschnitten hatten, war etwa ein mal zwei Meter groß. Als sie heimkam, vermied Cyrille es, den Blick darauf zu richten. Es war sechzehn Uhr. Ich werde das Einrichtungshaus anrufen, damit sie einen neuen Boden verlegen. Perlgrau, sehr dick und sehr teuer …
    Das Leben ging weiter, immerhin war sie noch in der Lage, Pläne für die Wohnungsausstattung zu machen. Sie hängte ihren Mantel an die Garderobe, stellte Schuhe und Handtasche im Eingang ab und ging in ihr Schlafzimmer. Wie ferngesteuert trat sie in die Ankleide. Dann stieg sie auf die Leiter und holte den kleinen roten Delsey-Koffer herunter, der würde für ein paar Tage ausreichen. Sie packte Wäsche, T-Shirts, zwei Blusen und zwei Hosen, zwei Kostüme und ihre Ballerinas ein. Und auch das kleine Reise-Bandeon legte sie darauf, ihren Talisman brauchte sie, sonst würde die Sache nicht gut gehen. Fehlten noch ihr Waschbeutel mit Zahnbürste, Zahnpasta und Cremes und das Täschchen mit den Medikamenten.
    Sie zog sich um: eine beigefarbene Freizeithose, weiße Turnschuhe und eine hellgrüne Leinenbluse, darüber einen dicken Pullover, ihren Regenmantel und um den Hals einen Schal. Dann klappte sie den Koffer zu und ging zur Tür. Bevor sie die Wohnung verließ, kehrte sie noch einmal in den Salon zurück, öffnete drei der zahlreichen Schubladen des Intarsien-Sekretärs und fand, was sie suchte. Sie schloss die Tür hinter sich ab. Den Reisepass steckte sie in ihre Handtasche zu ihrem Ticket. In drei Stunden würde sie abfliegen.
    *
    Marie-Jeanne saß vor ihrem Computer und dachte an ihre Tante.
    Sie versuchte, ihre zitternden Finger zu beruhigen, um ihre E-Mails schreiben zu können. Sie musste Kontakt mit allen Teilnehmern der für die Vorweihnachtszeit geplanten Verwaltungsratssitzung aufnehmen.
    Mit Cyrille hatte sie abgemacht, Benoît vor neunzehn Uhr dreißig – das war die reguläre Abflugzeit – nicht zu informieren. Falls er anriefe, würde sie ihm sagen, Cyrille habe gerade einen Patienten. Bislang hatte das Telefon nicht geklingelt, und Benoît hatte sie nichts gefragt; also hatte sie auch nicht lügen müssen. Marie-Jeanne seufzte. Sie hatte den Flug für den fünfzehnten annulliert und im Internet einen Last-Minute-Direktflug mit Air France gefunden, der um neunzehn Uhr zwanzig starten und um elf Uhr vierzig in der thailändischen Hauptstadt landen würde. Dort hatte sie auch für die beiden ersten Nächte ein Hotel reserviert. Cyrille, die ihr erzählt hatte, dass Benoît sie in der Psychiatrie einsperren wollte, schien erleichtert. Sie hatte sie gebeten, am nächsten Morgen eine E-Mail an das gesamte Team zu schicken, um mitzuteilen, Cyrille sei krank.
    Das Fenster des Windows Messengers blinkte. Moune wollte chatten.
     
    Hallo, bist du da?
     
    Marie-Jeanne seufzte erneut. Nein, ihr war nicht danach zumute.
     
    Ja, ich bin da.
    Und warum lässt du nichts mehr von dir hören?
    Keine Zeit.
     
    Moune schickte ein zwinkerndes Smiley.
     
    Dein Surfer?
    Ja.
    Die Sache läuft also? Ein guter Typ?
    Yes, guter Typ.
     
    Marie-Jeanne kaute an den Nägeln. Ein Stockwerk tiefer entspannten sich die Patienten bei sanfter Yogamusik. Ihr selbst wollte das nicht gelingen.
    Bleibt ihr hier?, fragte Moune, die sich offenbar bei der Arbeit langweilte, weiter.
    Ich glaube, er reist bald ab , antwortete Marie-Jeanne ausweichend.
    Eigentlich war sie sich da ganz sicher, doch sie gestattete sich einen gewissen Zweifel, um die Hoffnung noch nicht ganz aufgeben zu müssen. Er würde gehen, und alles wäre wie vorher. Nein, schlimmer. Weil sie mit ihm erfahren hatte, was Glück war. Jenes Glück, von dem alle hier in der Klinik redeten und das die Patienten in Gesprächen mit den Ärzten, durch Medikamente und elektromagnetische Stimulationen zu erlangen suchten … Sie hatte es in seinen Armen gefunden, und sie konnte an nichts anderes mehr denken. Julien hatte Besitz von ihr ergriffen. Ihre Kehle schnürte sich zusammen, am liebsten hätte sie geweint. Das Leben war ungerecht. Es war nicht das erste

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