Begrabene Hunde schlafen nicht
an
den Mund. »Nein! Wer?«
»Trude Solbakken. Eine Frau, die mit dem Fotografen verheiratet war, der die Aufnahmen machte – oder auch nicht machte –
, die … Aber das wird zu verwickelt. Es ist zu verwickelt. Ich
habe selbst kaum den Überblick.«
»Aber den hoffst du – in Schweden zu kriegen?«
»Nein. Aber vielleicht gelingt es mir, ein paar der losen Fäden
zu verknüpfen.«
»Seh’ ich dich irgendwann wieder?«
»Nichts ist unmöglich.«
»Du hast jedenfalls meine Telefonnummer.«
»Die hab’ ich, und wenn du jemals nach Bergen kommen
solltest, dann …«
»Dann?«
»Dann tu das gern!«
Sie gab mir einen Kuß, als ich ging, auf die Wange diesmal.
Der Koffer erschien mir schwerer, als er war.
Der Zug ging um 22.50 Uhr. Ich hatte mir einen Schlafwagenplatz gegönnt und schlief lange vor Skarnes schon ein.
Niemand störte mich an der Grenze, und ich wachte erst auf,
als der Schaffner an die Tür klopfte und den Kopf hereinstreckte, um mir anzuvertrauen, daß wir in einer halben Stunde in
Stockholm wären.
Ich zog das Rollo hoch, als wir an Klarastrandsleden entlang
das letzte Stück bis zur Centralbanestation fuhren, und blinzelte
ins Morgenlicht. Es war ein blasser, kränklicher Morgen, ein
Tag im Kielwasser des Septembers. Der Verkehr war dünn und
spärlich, und es waren kaum Leute unterwegs. Es war schließlich auch erst Viertel vor sieben. 6.47 Uhr kamen wir an, genau
nach Plan.
Ich frühstückte am Bahnhof, dann stellte ich meinen Koffer in
ein Schließfach und ging in die Stadt.
Während der Stunden, die ich noch herumbringen mußte, lief
ich mir den Marathon aus den Beinen. Ich nahm die Fußgängerbrücke nach Riddarholm und ging von dort aus weiter nach
Gamla Stan.
Bei Morgenlicht betrachtet, war Stockholm eine Stadt in
Pastellfarben. Der Riddarfjärd lag blaugrau und still da wie angedickte Milch. Über den Baumkronen lag Spätsommerpatina,
und die Kirchtürme trugen den Grünspan vieler Jahrhunderte.
Das Pale am Nordström hätte auch an der Seine liegen können.
Kam man aus Oslo, begriff man zum erstenmal, wie eine
Hauptstadt aussieht. Kam man aus Kopenhagen, erkannte man
die Konturen einer Konkurrentin. Bergen hätte in einem Pappkarton irgendwo oben in Södermalm Platz gehabt.
Ich folgte der schmalen Schlucht der Västerlånggata, an Restaurants, Antiquariaten und Kunsthandwerksläden vorbei, bis
sie am Järntorg zur Österlånggata wurde und hinter der Storkyrka und Det Kungliga Slottet endete. Von einer Telefonzelle aus
rief ich Brita-Helén Rosenquist an, bestätigte, daß ich in der
Stadt sei, und verabredete einen Treffpunkt.
Unten am Kai bei der Skeppsbro stieg eine Gruppe älterer
Menschen aus einem Touristenbus und ging an Bord eines
Rundfahrtschiffes. Einen Augenblick lang überlegte ich, ob ich
mich ihnen anschließen sollte, aber ich verwarf den Gedanken
und überquerte statt dessen das Wasser in Richtung Norrmalm.
Ich kam am Operngebäude und der Parkanlage im Kungsträdgård vorbei, wo ich einen Moment stehenblieb, um die Entwicklung eines Schachspiels zwischen zwei Spielern von mitteleuropäischem Aussehen zu verfolgen; sie bewegten Figuren so
groß wie Schulkinder hin und her.
Danach steuerte ich die fünf Hochhäuser am Högtorg an, die
wie Trollzähne über den Horizont ragten. Wir hatten verabredet,
uns auf deren Südseite, beim Modell von Gamle Klara, dem
verschwundenen Stadtteil, zu treffen, an der Ecke des Sergels
Torg.
Der Platz bildete eine ellipsenförmige Vertiefung, eine Art
Auffangbecken für Straßenmusikanten und Drogenabhängige.
Dieser Teil Stockholms lag so weit entfernt von Gamla Stan,
wie man es sich nur vorstellen konnte. Ein modernistischer
Vorort von Los Angeles, falsch plaziert von einer verlorenen
Generation von Stadtplanern. Wenn es ein Architektenbüro in
der Unterwelt gibt, dann sitzen sie jetzt dort und zeichnen.
Sie kam auf die Minute pünktlich.
Brita-Helén Rosenquist gehörte nicht zu denen, denen man in
der Nase oder anderswo pult, ohne daß sie selbst die Initiative
ergreifen. Sie war klein und drahtig, mit einer vibrierenden
Maschinerie, kompakten Formationen, sonnenblondem Haar
und federndem Gang. Sie sah aus, als trainierte sie jeden
Morgen drei Viertelstunden Tennis, und sie war denn auch weiß
gekleidet, trug einen weißen Hosenanzug über einer eisblauen
Seidenbluse, was auf raffinierte Weise ihren kupferbraunen
Teint hervorhob. Sie schien direkt aus dem schwedischen
Skärgårdsommer
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