Begrabene Hunde schlafen nicht
langgestreckte Hügel, Binnenseen, in denen
es von Flußbarschen, Hechten und Aalen wimmelte, Ödland mit
schütterem Wald und Bauernhöfe mit viel zu großen landwirtschaftlichen Maschinen. Wäre da nicht die Farbe der
Verkehrsschilder gewesen und die Tatsache, daß die kleinen
Häuschen auf der anderen Seite der Grenze rot gestrichen
waren, hätte man ebensogut in Värmland wie in Akershus sein
können.
Ich studierte die Skizze, die ich von Ove Haugland bekommen
hatte, bog in einen Stichweg in Richtung See irgendwo zwischen Rælingen und Flateby ab und parkte den Wagen vor
einem Zaun, auf dem PRIVAT stand. Ich respektierte die
Warnung, weil sie mit der Skizze übereinstimmte, und ging
außen an der Steinmauer entlang in Richtung See.
Die Landschaft schimmerte golden. Die Kornfelder auf beiden
Seiten des Sees standen blaßgelb gegen die Sonne, die alles in
einen freundlichen Glanz tauchte und selbst die verfallensten,
ungestrichenen Schuppen schutzwürdig aussehen ließ.
Svein Groruds Hütte hatte keine Schönfärberei nötig. Sie war
gut erhalten und frisch gebeizt, mit roten Dachbrettern und
Fensterläden. Die Fensterläden waren geschlossen, und aus dem
Schornstein stieg kein Rauch. Nichts deutete darauf hin, daß
sich jemand dort aufhielt.
Trotzdem näherte ich mich vorsichtig, als sei die Hütte ein
Blockhaus im Urwald. Aber es ragten keine Gewehrläufe aus
Schießscharten in den Wänden. Niemand warnte mich davor,
näher zu kommen.
Ich gelangte unverletzt bis an die Tür. Sie war sicher verschlossen, eingelassen in einen Stahlrahmen, der verbolzt und
außen abgeschlossen war. Wenn sich jemand dahinter befand,
dann mußte er ein Ausbruchstalent wie Houdini besitzen, und
das galt natürlich auch für den, der hineinwollte.
Ich sah mich auf dem Grundstück um. In einem kleinen Verschlag lag frischgehacktes Holz in ordentlichen Stapeln. In einer
Ecke des Schuppens befanden sich Fischfanggeräte, diverse
Reusen und Netze. Unten im Schilf am Seeufer lag eine kleine
Plastikjolle sicher an Land gezogen und an ein Betongewicht
gekettet. Das Boot war halb voller Wasser. Nichts deutete darauf
hin, daß es in den letzten Wochen benutzt worden war.
Ich ging zum Wagen zurück, fuhr wieder auf den Riksvei,
Richtung Norden nach Strømmen und folgte dem Strømavei
nach Oslo hinein. Große Industriegebiete verrieten, wo Oslo
einen Teil seines Mülls produzierte; schieläugige Wohnblocks in
allzu dichten Komplexen erzählten, wo die Arbeitskraft herkam.
Bei Ulven fuhr ich zum Store Ringvei ab, den ich bei Tåsen
wieder verließ. Ich parkte den Wagen am angewiesenen Platz
und tätschelte ihm freundlich den Panzer, bevor ich ihn verließ.
Er hatte weniger Schrammen im Lack als die Zeitung, für die er
Reklame machte.
Von Tåsen aus nahm ich den Bus zur Uelands Gate, ging von
dort in die Waldemar Thranes Gate und folgte ihr bis zur
Sannerbru.
Das Treppenhaus war genauso dunkel wie beim letztenmal,
aber jetzt wußte ich, daß Solbakken auf dem Türschild stand.
Diesmal öffnete niemand auf mein Klingeln.
Ich stand da und trippelte auf der Stelle, während eine plötzliche Unruhe meinen Körper ergriff. Ich starrte zu der einsamen
Glühbirne an die Decke. Wie ein Zyklopenauge starrte sie
zurück, als versuchte sie zu durchschauen, was ich vorhatte.
Ich klingelte noch einmal. Keine Reaktion.
Ich legte das Ohr an die Tür und rief: »Hallo?! Ist jemand
da?!«
Ich hörte kein Geräusch.
Schließlich legte ich die Hand auf die Türklinke und drückte
sie herunter. Die Tür war offen.
Ich ging schnell in den langen Vorraum und durch den Bambusvorhang in das helle Wohnzimmer mit all den Fotos an den
Wänden.
Trude Solbakken lag mitten im Raum, die Schenkel gespreizt
und das eine Knie angewinkelt, in einer äußerst herausfordernden Stellung.
Aber sie war vollständig bekleidet und lag nicht da, um jemanden anzumachen. Sie lag da, weil sie tot war.
42
Bei unserer letzten Begegnung hatte ich sie als ein auffällig
gesundes und robustes Mädchen erlebt, von der Sorte, die fast
alles überlebt. Aber das hier hatte sie nicht überlebt.
Ihr Gesicht war blau angelaufen, die Zunge lag wie eine
verdorbene Leber zwischen ihren Lippen, und sie hatte häßliche,
lila Beulen am Hals. Über die Todesursache bestand kein
Zweifel.
Ich beugte mich hinunter und fühlte an ihrem Handgelenk,
eine Art verspäteter Reflex. Die Hand war steif und kalt, aber
unter ihren Fingernägeln waren unübersehbare Fetzen
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