Begrabene Hunde schlafen nicht
Sorge, ich hätte da eine ganze Liste von Gründen!«
Torleif Pedersen kam ins Zimmer.
Sie hob die Stimme. »Oh, Torleif, gut, daß du kommst! Kannst
du hier übernehmen? Ich fahre wieder ins Büro und überlege
mir dort, wie wir weiter vorgehen.«
Er nickte und sah mich unwillig an. »Was macht der hier?«
»Er hat sie gefunden.«
»Der rechte Mann am rechten Ort, was, Veum?«
»Und zur rechten Zeit, wie es aussieht.«
Zwei junge Männer in weißen Kitteln erschienen mit einer
Bahre in der Tür.
Anne-Kristine Bergsjø warf einen prüfenden Blick durch den
Raum und nickte ihnen zu. »Ihr könnt sie mitnehmen. Sofort in
die Gerichtsmedizin. Doktor Henriksen.«
Wir standen da und sahen ihnen zu, wie sie ein Laken und eine
Wolldecke auf dem Boden ausbreiteten. Sie legten Trude
Solbakken darauf und schlugen das Laken über sie. Dann hoben
sie sie behutsam auf die Bahre, wie um sie nicht zu wecken.
Nur die Umrisse ihres Körpers auf dem Boden blieben zurück,
mit Kreide gezeichnet wie ein höchst vergänglicher letzter Gruß.
Anne-Kristine Bergsjø richtete den Blick auf mich. Mit einer
Mischung aus Irritation und Frustration sagte sie: »Was wolltest
du eigentlich hier, Veum?«
»Ihr ein paar Fragen stellen.«
»Weshalb?«
»Ich wollte wissen, ob sie wußte, daß die Nacktfotos, die ihr
Mann irgendwann 1987 von Aud Finstad gemacht haben soll
und die dem Gericht als Beweismaterial vorgelegt wurden, in
Wirklichkeit nach dem Mord an ihm aufgenommen worden
waren. Und ob sie überhaupt Beweise dafür hatte, daß Aud
Finstad und ihr Mann ein Verhältnis hatten. Und wann sie zum
erstenmal Thorbjørn Finstad begegnet war.«
Sie sah zu Torleif Pedersen. »Verstehst du, wovon er redet?
Du konntest dich doch an den Fall erinnern.«
Er nickte. »Ich erinnere mich an das Beweismaterial, ja. Aber
daß die Fotos nach dem Mord aufgenommen sein sollen, das
…«
»Nein, denn das ist neu. Aud Finstad selbst hat es mir erzählt,
gestern vormittag.«
»Hast du auch mit ihr geredet?« fauchte Anne-Kristine
Bergsjø.
»Sie …« Ich lächelte entwaffnend. »Wir sind alte Bekannte.
Wir kennen uns von einem Fest – 1965.«
»1965?«
»Also haben wir ein bißchen darüber geplaudert, was uns in
der Zwischenzeit so alles widerfahren ist.«
Sie wandte sich an ihren Kollegen. »Was sollen wir bloß mit
dem Kerl tun?«
Ich sagte schnell: »Ich fahre weg! Heute abend. Mit dem
Zug.«
»Gott sei Dank! – Zurück nach Bergen, hoffe ich.«
Ȁh, nein. Ich habe eine Verabredung in Stockholm, morgen
vormittag.«
»In Stockholm? Was für eine Verabredung ist das?«
»Mit einer Journalistin.«
Sie sah immer skeptischer drein. »Um worüber zu reden?«
»Das – kann ich nicht sagen.«
Sie wandte sich wieder an Torleif Pedersen. »Was machen wir
mit ihm? Einsperren?«
Er schien zu zögern. »Haben wir dafür genug gegen ihn in der
Hand?«
Ich mischte mich ein. »Genug? Habt ihr überhaupt was?«
Sie ignorierte mich. »Nein, haben wir wohl eigentlich nicht.«
Dann schenkte sie mir wieder ihre volle Aufmerksamkeit. »Aber
wenn ein Wort in der Zeitung erscheint, Veum …«
»In der Zeitung? Nicht ich soll ihr etwas erzählen, sondern
umgekehrt.«
»Und wenn du auf irgend etwas stößt, das Licht auf die Sache
werfen könnte – diese hier, oder frühere –, dann gibst du uns
Bescheid, unverzüglich. Ist das klar?«
»Ist okay. Dann kann ich jetzt also gehen?«
Mit resigniertem Gesichtsausdruck winkte sie mich davon.
Ich war froh, daß sie mich nicht durchsucht hatten. Hätten sie
das Foto gefunden, das ich immer noch bei mir trug, dann hätten
sie mich nicht nur eingesperrt; sie hätten auch den Schlüssel
verlangt und niemandem Bescheid gesagt, wo ich mich aufhielt.
43
»Nach Stockholm? Heute abend?« rief Alant Johansen. Sie sah
blaß und erschöpft aus und war mindestens so aufgedreht wie
am Vorabend.
»Ich nehme den Nachtzug. Das ist am billigsten. Gibt es was Neues?«
Sie schüttelte heftig den Kopf und sah weg, als wollte sie
meinem Blick ausweichen.
»Wie es dann weitergeht, weiß ich nicht. Es spricht vieles
dafür, daß ich nach Bergen weiterfahre.« Ich legte den Schlüssel
auf die Küchenanrichte. »Jedenfalls glaube ich, daß ich den
nicht mehr brauche.«
»Du kannst aber, wenn du willst.«
»Ja, ich weiß. Aber ich glaube, ich will dich nicht noch mehr
belasten, als ich es schon …«
Sie wandte mir halb ihr Gesicht zu.
»Es gibt noch eine Leiche.«
Sie sperrte die Augen auf und hob automatisch die Hand
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