Begrabene Hunde schlafen nicht
Frau – Marit Johansen. Sie war
dort über eine Aushilfsvermittlung als Sekretärin angestellt, bei
Grorud, und sie rief mich an, um mich zu warnen.«
Sie hob die Hand. »Heh, heh, heh! Jetzt geht es etwas zu
schnell, Veum. Sie warnte dich wovor?«
»Vor Grorud. Er kam zu meinem Hotelzimmer; als ich ihn
nicht reinließ, zerschlug er einfach die Tür. Ich hatte, wie du dir
vielleicht denken kannst, keine große Lust, mit ihm zu reden,
gerade zu dem Zeitpunkt.«
»Was wollte er?«
»Keine Ahnung. Er klang nur eben nicht sonderlich freundlich,
also nahm ich die Feuerleiter und verschwand durch den
Hintereingang.«
Sie runzelte die Stirn. »Hattest du was zu befürchten?«
»Zu befürchten? Nein, aber ich kannte Grorud doch vom
Hörensagen. Was ich gehört hatte, lud nicht zu näherer Bekanntschaft ein.«
»Also bist du entwischt, mit anderen Worten.«
»Wie du siehst.«
»Und seitdem hast du nichts mehr von ihm gehört? Von
Grorud?«
»Ich bin nicht ins Hotel zurückgegangen.«
»Nein? Und wo hast du die Nacht verbracht?«
»Ich, äh, habe einen Sohn, der hier studiert. Er hat eine kleine
Wohnung.«
Sie durchschaute mich mühelos. »Aber da hast du nicht geschlafen, stimmt’s?«
»Nein, ich, äh, Marit Johansen hat mir ihr Sofa angeboten.«
Sie notierte irgend etwas auf ihrem Block. »War das alles?«
»Das war alles, was sie mir anbot, ja.«
Sie lächelte leicht. »Ich meinte, war das alles, was du zu
erzählen hast?«
»Ja. Heute morgen habe ich Merete Sjøwolds Mutter besucht –
und danach ging ich zum Oslo Plaza, wie ich schon sagte.«
»Einfach so, aus purer Neugier?«
Ich nickte. Nach einer kleinen Pause sagte sie: »Ich kann nicht
behaupten, daß deine Geschichte besonders überzeugend klingt,
Veum. Wann warst du zuletzt in Schweden?«
»Wann war ich zuletzt in … Tjaha. Ein paar Wochen in Skåne
und an der Westküste, im Sommer vor zwei Jahren. Mit einer
Freundin. Ein ganz gewöhnlicher Sommerurlaub.«
»Und davor?«
»Im Frühjahr 1984 war ich in Stockholm. Vier Tage, im
Auftrag einer Firma in Bergen.«
»Welche Firma?«
»O. Kavli.«
»Und der Auftrag lautete?«
»Einen untreuen Diener zu entlarven. Es wäre zu kompliziert,
die Details zu erzählen.«
»Und du hattest zu diesem Zeitpunkt keine Verbindung zu
Merete Sjøwold, äh, Loewe?«
»Verbindung? Ich hatte nicht die geringste Ahnung, daß sie da
drüben wohnte! Ich hatte seit Jahren nicht mehr an sie gedacht,
und wenn ich nicht gestern diese Frau, na ja, getroffen hätte, die
ihr jedenfalls ähnlich sieht, dann hätte ich nicht – ja, dann säße
ich jedenfalls jetzt nicht hier.«
»Und du hast in Schweden auch keinen P. E. Jansson getroffen, weder 84, noch vor zwei Jahren?«
»P. E. Jansson ist mir genauso unbekannt wie Ola Olsson!«
»Ola Olsson – wer ist das?«
Über den Schreibtisch hinweg sahen wir einander grimmig an.
Dann nahm sie eine graue Akte, öffnete sie und zog ein Foto
heraus. Sie warf einen kurzen Blick darauf, bevor sie es mir
wortlos reichte.
Ich betrachtete das Bild. Es war per Telefax geschickt worden;
die Kontraste waren grell, aber die Züge trotzdem deutlich
genug.
Der Mann auf dem Bild hatte ein längliches, vierschrötiges
Gesicht, dunkle, zusammengewachsene Augenbrauen und dunkle Bartstoppeln, die ihm etwas Südeuropäisches gaben. Das
schwarze Haar war nach hinten gekämmt, und er starrte mich
an, mit deutlichem Widerwillen, fotografiert zu werden.
Unter dem Bild stand: Pär Elias Jansson, S. geb. 14-03-44,
Ystad, Gr.: 1,86m, Gew.: 92 kg, Haarfarbe: schwarz, Augenfarbe: blau. Ref: KA-09164884.
Ich sah auf. »Ein kräftiger Kerl.«
»Das hatte er auch nötig. Er war in derselben Branche wie
Svein Grorud.«
»Inkasso?«
»Ich hätte beinahe gesagt: gewaltsame Geldeintreibung.«
»Dann hat er jetzt seinen letzten Ausstand einkassiert.«
»Könnte man so sagen. Vieles deutet darauf hin, Veum.«
Ich betrachtete wieder das Bild. Irgendwo, weit hinten im
Hinterkopf, hatte ich den Eindruck, P. E. Jansson schon einmal
gesehen zu haben.
Es klopfte an der Tür, und ein Polizist in blauem Overall kam
eilig herein. In der Hand hielt er eine durchsichtige Plastikhülle.
Darin lag ein Umschlag.
Ohne mich anzusehen, sagte er: »Ich dachte, ihr wolltet das
hier sehen, bevor wir es unter die Lupe nehmen.«
Anne-Kristine Bergsjø erhob sich ein Stück von ihrem Stuhl.
»Was ist das?«
»Wir haben es am Tatort gefunden, halb unter dem Bett. Ein
leerer Umschlag mit einem Firmennamen. PER UND PÅL
FOTOSHOP. Inhaber: Pål Helge
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