Begrabene Hunde schlafen nicht
Telefon ginge, es immer noch der Installateur sein
könne. – »An einem Samstagabend?« – »Ja.«
Da ich gerade in der Gegend war, ging ich bei dem Hotel
vorbei, in dem ich mich ursprünglich eingemietet hatte. Ich
studierte die Umgebung gründlich, bevor ich mich ganz auf die
Lichtung wagte, aber ich sah niemanden von Svein Groruds
Format in der Nähe, und außerdem ging ich davon aus, daß er
längst gemerkt hatte, daß ich hier nicht mehr wohnte. An der
Rezeption fragte ich nach meinem Koffer.
Es war diesmal ein anderer Rezeptionsangestellter, penibel wie
ein Beamter. Aber er war weit davon entfernt, mir meinen
rechtmäßigen Besitz auszuhändigen. »Der Koffer von Veum?
Der ist beschlagnahmt. Er steht hier. Die Rechnung beträgt …«
»Ruf meinen Anwalt an. Asbjørn Hellesø. Sofort!« Wenn ich
Glück hatte, bekam er Frostschäden am Trommelfell.
Er sah mich nachdenklich an, mit einem Gesichtsausdruck, als
hätte er schon früher mit Anwälten zu tun gehabt. Danach
zuckte er die Achseln, holte ein Schlüsselbund hervor und sagte
resigniert: »Na gut, dann sollen Sie ihn wohl haben.«
Er holte meinen Koffer aus einem Raum hinter der Rezeption
und gab ihn mir zögernd, als sei er sich noch nicht ganz sicher,
daß er richtig handelte. »Aber das sollte ich Ihnen sagen: Sie
sind hier nicht wieder willkommen!«
»Das kann ich mir lebhaft vorstellen«, erwiderte ich, während
ich den Koffer öffnete und demonstrativ nachsah, ob alles da
war.
»Der Michelin hätte euch drei Totenköpfe mit Schleife verpaßt«, sagte ich, als ich ging.
Ich verstaute den Koffer in einem Schließfach am U-Bahnhof
Nasjonalteater. Dann nahm ich den Bus nach Tonsenhaugen und
Grorud. Aber ich stieg viel früher aus, in der Sannergate, um
einer Dame guten Tag zu sagen, die lange genug Witwe gewesen war, um wieder bei guter Laune zu sein, wenn sie diese
überhaupt jemals verloren hatte.
25
Ich mochte Trude Solbakken vom ersten Augenblick an. Sie
wirkte auf mich wie ein robustes und gutmütiges Mädchen, von
der Sorte, die fast alles überlebt.
Ich stieg gleich hinter der Sannerbru aus dem Bus. Hinter der
Brücke floß der Fluß schnurgerade an der alten Spinnerei
vorbei, die nach einer kurzen Karriere als Restaurant in den
frühen achtziger Jahren in ein Fernsehstudio für eine der
kommerziellsten Fernsehgesellschaften umgewandelt worden
war. Ein Momument zerbrochener Illusionen.
Das Haus, in dem Trude Solbakken wohnte, gab auch keinen
Anlaß zu großen Illusionen. Die grüne Wandfarbe hing in
großen Fetzen von der rissigen Fassade. Im Erdgeschoß befand
sich ein leerstehendes Geschäft mit übermalten Fensterscheiben,
und nur eine ausgefranste alte Kodakreklame verriet, zu welcher
Branche es einmal gehört hatte.
Wenn man das Treppenhaus betrat, durch eine braune Tür, die
in den Scharnieren hing und quietschte, schief wie ein Junge in
der Pubertät, spürte man den faden Geruch längst entwickelter
Fotos, Bilder aus einem Leben, das viel länger als seit 1987 zum
Trocknen gehangen hatte.
Das Treppenhaus war dunkel, nur von einer einsamen, nackten
Glühbirne erleuchtet. Eine steile Treppe führte in den ersten
Stock. Dort gab es überhaupt kein Licht, und ich mußte mich
ganz nahe an das Schild beugen, um zu sehen, daß Solbakken an
der Tür stand. Die Klingel zu finden dauerte auch eine Weile.
Als ich klingelte, sprang die Tür augenblicklich auf, als hätte
sie auf der Lauer gestanden und nur auf mich gewartet. Aber das
breite Lächeln, mit dem sie mich empfing, welkte schnell und
blieb mit braunen Rändern und nur einem matten Widerschein
des ersten Ausdrucks auf ihrem Gesicht hängen.
»Ja?«
»Störe ich?«
Ihr Blick glitt an mir vorbei, die Treppe hinunter. »Ich erwarte
Besuch.«
»Mein Name ist Veum. Varg Veum. Ich habe ein paar Fragen
zu dem, was damals, 1987, geschehen ist.«
Jetzt war das Lächeln ganz verschwunden. Sie trat einen
Schritt vor, wie um mir den Zugang zur Wohnung zu versperren.
»Ja, ich spreche doch mit Trude Solbakken?« sagte ich
schnell, um Zeit zu gewinnen.
Sie nickte und starrte mich aus klaren, hellblauen Augen an.
Sie war ein kompaktes, kleines Doppelpaket von einer Blondine.
Die breiten Schultern gaben ihr etwas Viereckiges, und der gedrungene kleine Kugelbauch verhieß Bauchmuskeln genug, um
einen zur Vorsicht zu gemahnen; dieser kleinen Dame machte so
leicht niemand etwas vor. Vor anderthalb Jahrzehnten hätte sie
der furchteinflößende
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