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Behalt das Leben lieb

Behalt das Leben lieb

Titel: Behalt das Leben lieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaap Ter Haar
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Häuser, Läden, Bäume und der unsichtbar gewordene Eisenbahnübergang.
    »Wo sind wir?«
    »Auf dem Kerkbrink.«
    Die Dunkelheit, die in der kleinen Welt von Saal 3 nicht so überwältigend erschienen war, brach nun mit aller Wucht über Beer herein. Einen kurzen Moment lang kam er sich wie ein blinder Passagier vor, dem sogar die Fahrkarte für die Fahrt durch das Leben fehlte. Er biss die Zähne zusammen, weil ihm schwindlig wurde von dem unerwarteten Bremsen und den Kurven, die er nicht sehen konnte.
    »Wo sind wir?«
    »Wir fahren die Van-Driel-Straat entlang.«
    Vater und Mutter versuchten, den dunklen Abgrund mit Sprüchen zu überbrücken. Das gelang natürlich nicht. Für sie musste diese Fahrt beinahe ebenso furchtbar sein. Nahmen sie nicht ein blindes Kind mit nach Hause?
    Das Taxi fuhr langsamer.
    »Wir sind da«, sagte Vater. Dabei legte er seine Hand ermutigend auf Beers Knie. Dann öffnete er die Wagentür und stieg aus, um schnell den Taxifahrer zu bezahlen.
    Beer war aus dem Taxi geklettert. In einem Anflug von Panik klammerte er sich ängstlich und niedergeschlagen an den Arm seiner Mutter. »Lieber Himmel!«
    Jetzt stand er vor dem eigenen Gartenzaun, mit dem eigenen Haus dahinter, und er sah das alles nicht. Es erschien auch kein Bild auf dem Bildschirm seiner Vorstellung, seine Ratlosigkeit hing wie ein pechschwarzer Vorhang davor.
    Wieder zu Hause! Doch alles, was davon übrig blieb, waren die unsicheren Schritte auf dem Weg durch den Garten. Die Haustür ging auf. Die aufgeregte Stimme von Annemiek flog ihm entgegen: »Ha, Beer! Fein, dass du wieder da bist!« Er kriegte einen unbeholfenen Kuss aufs Ohr, weil er seinen Kopf im letzten Moment doch in die falsche Richtung gedreht hatte. Dann wieder weitertappen in vollkommener Dunkelheit.
    »Achte auf die Treppe«, warnte Vater. Wieder so ein Spruch für Dreikäsehochs, der wie der Stachel einer Wespe mitten in die Verzweiflung traf. Hob er nur deshalb seinen Fuß zu früh? Und stolperte er deshalb beinahe doch noch über die verdammten Platten vor der Tür?
    Wieder zu Hause! Er stand jetzt im Korridor – in dem einst so vertrauten, jetzt aber unsichtbargewordenen Korridor –, aber Freude überkam ihn nicht.
    »Endlich.« Mutters Stimme klang froh und glücklich, weil sie ihr Kind, mochte es auch noch so versehrt sein, wieder unter ihre Fittiche nehmen konnte.
    »Du hast eine Torte geschickt bekommen«, sagte Annemiek. »Und Goof hat angerufen. Ob du schon da seist. Und Frau Den Beste hat eine Schachtel Pralinen gebracht. Und Tante Mansje . . .«
    »Das kommt alles noch«, sagte Vater, der nervös an seinem Feuerzeug knipste, das nicht brennen wollte.
    Zögernd ging Beer den Korridor entlang. Mutter nahm ihn behutsam am Arm, aber er machte sich los. Unter seinem Verband war die Welt Unheil verkündend schwarz.
    »Bist du müde? Willst du dich ein bisschen hinlegen?«
    Beer schüttelte den Kopf. Er wollte allein sein. In Gottes Namen einfach allein sein mit seiner Angst und seiner zugeschnürten Kehle. »Erst mal in mein Zimmer.«
    Schließlich fand er doch das Treppengeländer und die ersten Stufen.
    Mutter war schon wieder hinter ihm. »Geht’s?«
    »Ja, Mutter. Ich find’s schon.« Er sagte es so freundlich wie möglich, um den anderen die Freude über seine Rückkehr nicht ganz zu verderben.
    »Lass ihn nur.« Geflüsterte Worte von Vater, dernatürlich, zu Mutter und Annemiek gewandt, vielsagende Gesten machte.
    Auf halber Treppe stolperte Beer über die letzte Stufe vor dem kleinen Absatz. Glücklicherweise bot ihm das Geländer noch rechtzeitig Halt. Unbeholfen, trotzig und halb weinend fand er sein Zimmer. Da er den Abstand falsch schätzte, fiel die Tür etwas zu laut und nachdrücklich hinter ihm zu. Rang! Auch das noch. Vielleicht dachten sie unten, dass er sich wie ein undankbarer, verwöhnter, alberner Kerl benahm. Sollten sie es denken.
    Wieder zu Hause. Beer holte tief Atem, ein paar Mal hintereinander. Es dauerte ein Weilchen, ehe er sein Gleichgewicht einigermaßen wiederfand.
    Das Zimmer roch nach Farbe. Hatte Vater es während seiner Abwesenheit renoviert? Vorsichtig tastete Beer die vertrauten Wände ab. Er roch an der Tür. Nein, die hatte keine Farbe abgekriegt.
    Das Bett stand noch an derselben Stelle. Aber was war das? »Heh . . .«
    Der Tisch war weggerückt. An der Wand stand ein neues Regal: ein Riesending, in große und kleinere Fächer unterteilt. Hatten Vater und Mutter das Regal selbst gebaut und

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