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Behalt das Leben lieb

Behalt das Leben lieb

Titel: Behalt das Leben lieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaap Ter Haar
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gegen Metall. Das musste der Papierkorb sein. Nun war er dicht davor. Ja, tatsächlich. Er hatte die Bank gefunden. Todmüde, mit einem Seufzer der Erleichterung ließ sich Beer auf die Bank sinken.
    Der Geruch von Blüten und von getrocknetem Mist. Die Frühlingssonne fiel auf sein Gesicht. Ein Vogel zwitscherte und Beer fragte sich, ob er mitder Zeit all die zwitschernden Vögel würde unterscheiden können. Während er früher nie darauf geachtet hatte, war es jetzt ein überwältigender Klang für ihn.
    Seine Mutlosigkeit, an der die Schreibmaschine schuld war, hatte sich gelegt. Beer fühlte sich zufrieden. Zum ersten Mal seit seinem Unfall war er die Straße entlanggegangen und hatte das gestellte Ziel aus eigener Kraft erreicht. Sicher, es hatte Augenblicke der Angst und der Panik gegeben. Es war auch verdammt schwer gewesen, den Weg in vollkommener Dunkelheit zu finden – schwerer, als er es sich vorgestellt hatte. Aber nun saß er eben doch auf der Bank. Beer lächelte zufrieden. Vielleicht hätte er etwas weniger zufrieden gelächelt, hätte er gewusst, dass seine Mutter ihm voller Sorge gefolgt war.
    In der Ferne das gleichmäßige Summen des Verkehrs. Rundum das Gezwitscher der Vögel. Sanft strich der Wind über seine schweißnasse Stirn und brachte ein wenig Abkühlung unter dem heißen Pflasterverband.
    Der Kindergarten schloss jetzt. Das war an dem fröhlichen Geschrei zu hören. Und plötzlich einzelne Kinderstimmen ganz in der Nähe: »Ich will Pilot werden!«
    »Und ich Kapitän. Auf einem ganz großen Schiff!«
    »Und du, Jan?«
    »Ich?« Nach der Stimme zu urteilen, war Jan ein Knirps von vier Jahren.
    »Ja, du!«
    »Ich werd später König. König vom ganzen Land!«
    Gelächter.
    »Du Dummer. Das wirst du nie. Da muss doch dein Vater König sein.«
    »Oder deine Mutter Königin, sonst geht’s nicht.«
    »Doch«, sagte Jan. »Ich werd durch mich selber König.«
    Beer sah die Jungen vor sich. Besonders Jan: ein kleines Kerlchen mit Rotznase und einem offenen Schnürsenkel.
    »Wie denn? Wie willst du König werden?«, riefen die anderen.
    »Na . . . erst kauf ich mir ’n Pferd. Und dann töte ich den Drachen!«
    »Hu, huh. Einen Drachen! Die gibt’s doch gar nicht, Mann!«
    »Dann töte ich eben was anderes«, sagte Jan schnell. »Und dann erlöse ich die Prinzessin. Und dann heirat ich sie. Und dann stirbt ihr Vater. Und dann wird die Prinzessin Königin. Und dann«, rief er triumphierend, »dann bin ich König!«
    »Haha, wo willst du denn die Prinzessin erlösen?«
    »Irgendwo«, sagte Jan sehr überzeugt. Jetzt war es eine Weile still. Offenbar dachten die anderen angestrengt nach. »Und wenn dich die Prinzessin nicht liebt? Und dich nicht heiraten will?«
    »Ja, Jan, was machst du dann?«
    »Dann werd ich der Gärtner der Königin«, sagte Jan.
    »Ein Gärtner ist noch kein König.«
    »Doch«, sagte Jan heftig. »Denn dann sagt die Königin: ›Jan, ich bin alt. Und ich bin müde. Ich will nicht mehr Königin sein. Das ganze Getue. Das ganze Geschwätz. Jetzt soll’s mal ein anderer machen.‹«
    »Und dann?«
    »Dann sagt sie zu mir: ›Jan, du bist der beste Gärtner des Landes. Du bist bestimmt auch der beste König.‹ Na, und dann bin ich doch König!«
    Diese Worte machten sichtlich Eindruck, denn wieder folgte eine kurze Pause.
    »Und dann bin ich der Chef«, sagte Jan. »Und jetzt geb ich keine Antwort mehr. Das hat ’n König nicht nötig.«
    Lief er weg? Beer hörte ihn auf dem Kiesweg vorbeikommen. Jan, der König, mit seinem unverwüstlichen Glauben.
    »Das geht nicht«, rief ihm ein anderer Junge nach.
    »Geht doch!«, schrie der kleine König selbstsicher zurück.
    Beer stand lächelnd von der Bank auf. Die Kinderstimmen hatten ihm gutgetan. Wenn man nur unerschütterlich an die Zukunft glaubte – wie Jan –, dann überwand man aus eigener Kraft viele Schwierigkeiten.
    Jetzt schlenderten die anderen Jungen vorüber.
    »Heh, wollt ihr mir einen Gefallen tun? Bringt mich doch mal schnell auf die andere Straßenseite.«
    »Hast du dir die Augen verletzt?«
    »Siehst du das nicht?«
    »Kannst du nichts sehen?«
    »Nein«, sagte Beer. »Ich kann nichts sehen.«
    »Überhaupt nichts?«
    »Nein, überhaupt nichts. Euch nicht. Die Häuser nicht. Und die Straße nicht.«
    »Was siehst du denn dann?«
    »Andere Dinge.«
    »Was denn?«
    »Ich seh Jan auf einem hohen Thron sitzen, mit einer goldenen Krone auf dem Kopf.«
    Da wussten sie keine Antwort. Ihre verwunderten Gesichter

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