Behandlungsfehler
noch erlebte, was ebenfalls oft einen guten Abschluss des Verfahrens für den einzelnen Mandanten bedeutet?
Ich fertigte also einen Klageentwurf, in dem ich den Fall sorgfältig darstellte, und bat einen Prozesskostenfinanzierer in den Rechtsstreit einzusteigen. Sicherlich hätten wir auch Prozesskostenhilfe bewilligt bekommen, aber Frau von Quirndorf hätte das Risiko der gegnerischen Rechtsanwaltskosten tragen müssen. Das konnte und wollte sie sich nicht leisten. Lieber, meinte sie, etwas weniger Geld, dafür aber kein Risiko. Ich benannte Schmerzensgeld, Schadensersatz und den Feststeller. Dann schickte ich das Ganze an den Prozesskostenfinanzierer, der die Klage als aussichtsreich beurteilte. Die Finanzierung des Prozesses war gesichert, sodass wir Klage erheben konnten. Die Klage wurde der Gynäkologin zugestellt, diese setzte sich mit ihrer Haftpflichtversicherung in Verbindung, ein Anwalt wurde mandatiert, das Verfahren war in Gang. Ref 11
Kurze Zeit später hielten wir die »Klageerwiderung« in den Händen. Frau von Quirndorf war an allem selbst schuld, war der Kontext unter dem die Klageerwiderung stand. Sie habe die Hygiene mangelhaft durchgeführt und Termine nicht eingehalten. Und: Die Patientin habe gewusst, dass die Ärztin versuchen würde, sie mit dem Warzenmittel zu behandeln. Insgesamt stellte die Ärztin meine Mandantin in einem ziemlich schlechten Licht dar. Sie wollte den Eindruck erwecken, sie sei mitschuldig. Das Mitverschulden nach Paragraf 254 BGB wird im Arzthaftungsrecht selten angewendet. Aber Arzthaftungsrecht hat immer eine emotionale Grundlage und man kann auch auf die Art zusätzlich eine Emotionalität provozieren, indem man die Klägerin schlechtmacht.
Das kann man machen, aber ich finde es nicht fair. Ich nahm damals Stellung dazu: Der gegnerische Prozessbevollmächtigte möge bitte freundlicherweise seinen Vortrag dem
standesrechtlichen Gebot der Sachlichkeit unterstellen und es unterlassen, meine Mandantin zu diskreditieren. Was man ihr vorwerfe, sei weder wahr noch relevant. So ging das ein paarmal hin und her, bis die Argumente ausgetauscht waren.
Acht Monate später folgte der Beweisbeschluss. Das Gericht gab die strittigen Fragen an einen Gutachter weiter. Zunächst wurden wir aufgefordert, uns mit der gegnerischen Partei auf einen Gutachter zu einigen. Ich gehe da selten mit – ich habe ganz am Anfang meiner Laufbahn einmal schlechte Erfahrungen gemacht. Damals war ich mit einem Gutachter einverstanden gewesen. Und später hieß es: Da ich mich mit dem Gutachter als Sachverständigen einverstanden erklärt hätte, müsse ich jetzt auch seine Aussagen akzeptieren. Seither überlasse ich es lieber dem Gericht selbst, einen Gutachter vorzuschlagen.
Ein Professor, Chefarzt der gynäkologischen Abteilung eines Krankenhauses, sollte den Fall prüfen. Die gegnerische Seite protestierte: Die Möglichkeiten in einem Krankenhaus seien nicht mit denen in einer kleinen Praxis zu vergleichen. Ein Chefarzt könne nicht nachvollziehen, wie eine niedergelassene Ärztin vorgeht. Wenn sein Gutachten für die Ärztin negativ ausfallen würde, könnte sie es gegebenenfalls anfechten, und das würde das Verfahren in die Länge ziehen. Das Zivilgericht versucht immer, Gutachter zu engagieren, die von beiden Seiten akzeptiert werden. Ich hatte Sorge, dass jetzt wieder Wochen vergingen, bis ein neuer Gutachter gefunden war, und teilte das auch mit. Facharzt sei Facharzt, schrieb ich, der Prozess möge zügig geführt werden. Das Gericht entschied, dass der Professor durchaus in der Lage sei zu klären, ob man das Warzenmittel benutzen konnte, um Dysplasien am Muttermund zu behandeln.
Die Wahl des Gutachters ist in solchen Prozessen zentral. Das Gericht entscheidet aufgrund von deren Aussagen. Es gibt zwar Spezialkammern für Arzthaftungsrecht, in denen die Richter durchaus viel sachliches Wissen erworben haben. Aber das Detailwissen bringt der Gutachter mit.
Der Professor begutachtete den Fall. Er stellte fest, dass es unsachgemäß gewesen war, die Dysplasie mit dem Warzenmittel einzupinseln. Er ließ aber offen, welche Folgen dieser Therapieversuch gehabt haben könnte. Ob dadurch der Abstrich beeinflusst wurde und sich der Krebs in der Tiefe entwickeln konnte, entwickelt hat. Dafür müsse ein pathologisches Gutachten angefordert werden, das sei nicht sein Gebiet. Das Gericht musste einen weiteren Gutachter suchen, jemanden, der sich in der Pathologie des Gebärmutterhalses auskannte.
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