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Behandlungsfehler

Behandlungsfehler

Titel: Behandlungsfehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Konradt
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war.
    Contergan war frei verkäuflich, erst im August 1961 wurde es aufgrund möglicher Nebenwirkungen überhaupt rezeptpflichtig. Im November wurde es endgültig vom Markt genommen. Einige Monate zuvor war in Deutschland ein neues Arzneimittelgesetz in Kraft getreten. Es war darauf ausgerichtet,
deutsche Pharmafirmen international wettbewerbsfähig zu machen. Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten mussten nicht überprüft werden, Medikamente wurden einfach registriert. Nach dem Contergan-Skandal wollten die Menschen schließlich mehr Sicherheit. Der Prozess gegen den Hersteller zeigte die Lücken des Gesetzes deutlich. 1976 wurde die Prüfung und Zulassungspflicht von Medikamenten endgültig festgeschrieben. Die Zeiten waren vorbei, in denen ein Arzneimittel einfach nur registriert werden musste. Tests und ein ausführlicher Beipackzettel wurden Pflicht.
    Aber auch das heutige Verfahren hat Nachteile. Manchmal ist, wenn ein Medikament endlich auf den Markt kommt, die Forschung schon viel weiter. Ärzte greifen das dann auf, ohne abzuwarten, bis der Einsatz zugelassen wird. Das kann auch durchaus sinnvoll sein, denn gerade krebskranke Patienten oder Patienten mit Krankheiten, für die es keine wirkliche Therapie gibt, können nicht warten, bis alle Studien abgeschlossen sind und das Arzneimittel zugelassen wird. Aber der Off-Label-Use birgt immer auch ein Risiko, da die Medikamente nicht umfangreich getestet sind.
    Das Bundessozialgericht erkennt heute an, dass ein Off-Label-Use notwendig sein kann, sodass die Kosten hierfür von den Krankenkassen übernommen werden müssen. Aber die Grenzen sind eng gesteckt: Die Kostenübernahme besteht nur, wenn es um eine schwerwiegende, das heißt lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung geht, wenn keine andere Therapie verfügbar ist und wenn die begründete Aussicht auf Erfolg besteht.
    Aber war das hier der Fall? Ich hatte Zweifel. Nirgends konnte ich Studien finden, die nahelegten, dass dieses Warzenmittel das ungeordnete Wachstum der Zellen im Gebärmutterhals stoppen kann. Der Arzt ist jedoch selbst bei einem Off-Label-Use in seiner Therapiefreiheit nicht eingeschränkt. Aber er haftet dann leichter, schneller. Wir hatten eine gute Chance, im Sinne des Arzthaftungsrechts einen Anspruch
gegen die Ärztin geltend zu machen. Ich setzte mich hin und schrieb, dass Anna von Quirndorf durch die Verwendung eines Medikaments im Off-Label-Use zu Schaden gekommen und die Ärztin für die Folgen haftbar zu machen sei. Ich schlug vor, uns außergerichtlich zu einigen. Die Sachlage schien mir eindeutig, aber weit gefehlt. Die Antwort war negativ. Frau von Quirndorf habe die Behandlung so gewollt, schrieb die Ärztin beziehungsweise deren Haftpflichtversicherung zurück. Hinzu käme erstens, dass die Ärztin nichts von den Dysplasien gewusst habe, die der zuvor behandelnde Gynäkologe festgestellt hatte, und zweitens, dass das Warzenmittel keinen Einfluss auf den späteren Abstrich gehabt habe. Letzteres würde bedeuten, dass Frau von Quirndorf kein Schaden aus der Therapie entstanden wäre, den wir aber nachweisen mussten.
    Ich konnte nur den Kopf schütteln. Aus meiner Sicht war die Sache ärgerlich: Nicht nur, dass die Ärztin einen Fehler gemacht hatte – jetzt weigerte sie sich auch noch, ihn einzugestehen, und schob ihrer Patientin quasi die Schuld in die Schuhe. Außergerichtlich war nichts zu machen. Wir mussten vor Gericht.
    Diesen Schritt hätte ich Frau von Quirndorf gern erspart. Sie war mit ihren Therapien sowieso schon mehr als tragbar belastet. Nun noch zusätzlich ein Gerichtsverfahren anzustrengen, das sich leicht über drei bis vier Jahre hinziehen konnte, schien zu viel. Sie würde sich immer wieder mit dem, was geschehen war, beschäftigen müssen. Ich würde ihr Schriftsätze schicken, sie würde Fragen beantworten müssen. Und jedes Mal wieder würde sie darüber nachdenken, warum das alles so hatte kommen müssen. Derweil lief ihr die Zeit davon.
    Aber ich sah keinen anderen Weg, wir mussten in das gerichtliche Verfahren – zumal es um ziemlich viel Geld ging. Für eine außergerichtliche Lösung hätten wir da sicher auf einiges verzichten können. Außerdem war es, so wie ich die Lage einschätzte, auch ein Wettlauf mit der Zeit. Wie lange
hatte Frau von Quirndorf noch zu leben? Schlugen die Therapien an? Oder musste man auch darüber nachdenken, wie es gelingen konnte, dass sie eine gewisse Genugtuung

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