Behemoth - Im Labyrinth der Macht
flüsterte Volger, und Alek gehorchte.
Der Ankermast befand sich vor ihnen, und Alek erwischte sich dabei, wie er daran entlang in die Tiefe starrte. In der dunstigen Dunkelheit schien der Boden tausend Kilometer entfernt zu sein.
»Ob das Seil stark genug ist?«, fragte er Hoffmann.
Der Angesprochene kniete sich hin und prüfte die dünne Trosse, die etwa dreißig Meter lang war und hinüber zum Mast führte. Alek glaubte nicht, dass dieses Seil das Gewicht eines Mannes halten konnte, allerdings waren die aus Tier- oder Pflanzenschöpfungen hergestellten Materialen der Darwinisten in der Regel viel kräftiger, als sie aussahen.
»Wie ich beobachtet habe, Hoheit, sind die schweren Taue alle unten an der Gondel befestigt. Aber dieses muss ja auch einen Sinn haben. Es wäre nutzlos, wenn es nicht einmal das Gewicht eines Mannes tragen könnte.«
»Davon würde ich auch ausgehen«, sagte Alek. Allerdings gab es auch andere Wesen, die möglicherweise die Leine benutzten. Boteneidechsen konnten darüberkrabbeln und Kampffalken ruhten sich hier vielleicht aus.
Hoffmann ließ eine Rolle Seil von der Schulter rutschen. »Dieses hier hält Sie oder mich und zusätzlich die Ausrüstung. Wir könnten einen von uns mit dem einen Ende hinüberschicken.«
»Das übernehme ich«, sagte Alek.
»Nein, Sie sind schließlich verletzt, junger Herr«, widersprach Klopp.
»Ich bin der Leichteste von uns.« Alek streckte die Hand aus. »Geben Sie mir das Seil.«
Klopp sah zu Volger. Der nickte und sagte: »Binden Sie es ihm um die Hüfte, dann kann er nicht in die Tiefe stürzen.«
Alek zog eine Augenbraue hoch und war erstaunt, weil Volger ihn vorausgehen ließ.
Der Wildgraf las ihm den Gedanken vom Gesicht ab und lächelte. »Wenn das Seil reißt, sitzen wir alle hier fest, daher spielt es keine Rolle, wer vorausgeht. Und Sie sind ja tatsächlich der Leichteste von uns.«
»Dann hat meine Tollkühnheit also die richtige Strategie nach sich gezogen, Graf?«
»Auch eine Uhr, die stehen geblieben ist, geht zweimal am Tag richtig.«
Alek antwortete darauf nicht, doch das Tier auf seiner Schulter schnaubte, als würde es seine Verärgerung spüren.
Klopp lachte leise, beugte sich vor und band Alek das dicke Seil um den Bauch. Nachdem es verknotet war, packten Bauer, Hoffmann und Klopp es, als wollten sie Tauziehen spielen.
»Über den Abgrund in die Dunkelheit.«
»Schnell jetzt!«, drängte Volger.
Alek nickte, drehte sich um und kletterte am Kopf des Flugtiers hinunter zur Halterung des Seils. Die anderen ließen das Sicherungsseil nach und nach ab, und immer wieder zog es leicht an seinem Bauch. Das erinnerte ihn an einen Tag, als er zehn gewesen war und sich weit über eine Burgzinne gelehnt hatte, während sein Vater ihn am Gürtel festgehalten hatte. Damals hatte er sich viel sicherer gefühlt.
Die dünne Leine begann vor seiner Nase und verschwand hinten zwischen den dunklen Verstrebungen des Ankermastes. Alek packte das Seil mit beiden Händen.
»Hoffentlich hast du keine Höhenangst, Tierchen.«
Das Neugeborene sah ihn lediglich an und blinzelte.
»Also gut«, sagte Alek und ließ sich ins Leere schwingen. Er baumelte einen Moment lang an den Händen, dann hievte er die Beine hoch und schlang sie um das Seil. Das Tier bohrte ihm zwar die Krallen tief in die Schulter, gab jedoch keinen Laut von sich.
Ein Gutes hatte es ja, mit dem Gesicht nach oben zu hängen – Alek musste nicht nach unten zum Boden sehen. Über ihm befanden sich nur das Seil und die Sterne. Er zog sich Stück um Stück vom Luftschiff fort und das Seil drückte sich in seine Kniekehlen.
Nach der Hälfte des Wegs keuchte Alek. Die verletzte Rippe schmerzte, in den Händen hatte er kaum noch Gefühl. In der Nachtluft wurde der Schweiß auf seiner Stirn kalt. Je weiter er sich vom Luftschiff entfernte, desto länger und damit schwerer wurde das Seil um seinen Bauch.
Er stellte sich vor, wie das Seil riss oder seine Finger abrutschten. Einen schrecklichen Augenblick lang würde er dann fallen, aber die Sicherungsleine um seinen Bauch würde ihn auffangen und zum Luftschiff zurückschwingen lassen. Dort würde er genau gegen dessen Nase prallen – vielleicht so stark, dass der Wal aufwachte und sich beschwerte …
Der Ankermast kam näher, doch das Seil in seinen schmerzenden Händen stieg nun sachte an, und es ging noch mühsamer voran. Das Geschöpf auf seiner Schulter stöhnte leise und ahmte den Wind in den Streben des Turms nach.
Alek
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