Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur
du fünfzig Gattungen von Mensch.«
»Aufgrund der räumlichen Gedrängtheit herrscht hier Einheit unter den Linken, sagt mein Cousin immer.«
»Ist dein Cousin etwa auch so ein Linker?«
»Ich bitte dich. Er teilt mit ihnen nur das gleiche Gelände.«
Inzwischen hatte ein mittelgroßer, dicklicher Mann mit Brille nach der Klinke der Tür gegriffen, vor der sie warteten. Sie zögerten, da erst ein paar Minuten vergangen waren.
»Herr Sarı?«
»Ja?«
»Haben Sie einen Augenblick für uns Zeit?«
Vahap blickte sie fragend an.
»Polizei.«
Sie folgten Vahap ins Zimmer und bekamen zwei Stühle an einer Seite seines Schreibtisches angeboten. Vahap rückte seine dickglasige Brille zurecht. Sein Arbeitsplatz machte einen aufgeräumten Eindruck. Die Frau vor dem Bildschirm blickte wieder genervt.
»Wir wollten uns mit Ihnen über Betül Gülsoy unterhalten.«
Traurig nickte Vahap.
»Ja, das ist ein schreckliches Ereignis.«
»Wie haben Sie davon erfahren?«
Er geriet für einen Augenblick durcheinander.
»Na, also, wir haben ja alle davon gehört und waren natürlich zutiefst betroffen.«
»Was für eine Studentin war Frau Gülsoy?«
»Man kann sagen, daß sie sehr gewissenhaft gearbeitet hat. Sie war regelmäßig anwesend. Unsere Seminare sind meist recht voll, aber sie hat sich immer bemerkbar gemacht.«
»Auf welche Weise?«
»Durch ihren Fleiß und ihr regelmäßiges Erscheinen.«
»Auch durch ihre Schönheit?«
»Ich verstehe nicht recht«, sagte Vahap. Er rückte ein wenig näher und blickte sie über seinen Brillenrand an. Behzat Ç konnte diesen Mann auf Anhieb nicht leiden. Er hatte wimpernlose, blaue Augen, fleischige Wangen und eine schmierige Haut, auf der man sich das Schallen einer Ohrfeige vorstellen wollte. Die Frau vor dem Bildschirm hatte sich zu ihnen gedreht und hörte mit. Vahap fragte sie, ob sie denn keine Mittagspause machen wolle, woraufhin sie begann, ihre Tasche einzupacken. Eine nervtötende Stille breitete sich aus.
»In solchen Momenten sagt man wohl, daß jemandem eine Tochter geboren wurde«, sagte Behzat Ç.
Vahap lachte.
»Stimmt, das Sprichwort kommt mir bekannt vor.«
Die Frau schlug die Tür von außen zu.
Die armen Studenten
, dachte Behzat Ç,
falls so eine unterrichten darf
. Manchmal erschien es ihm wie ein großer Verlust, daß man nicht alles sagen durfte, was einem gerade in den Sinn kam.
»Was möchten Sie trinken?«
»Nichts, danke. Falls Sie einen Aschenbecher hätten…«
Während Vahap einen leeren Plastikbecher vor Behzat Ç aufstellte, fragte Eda: »Wie haben Sie sich mit Betül verstanden?«
»Gut. Also, soweit das Verhältnis zwischen Studenten und Hochschullehrern dies zuläßt. Da sie in letzter Zeit öfter fehlte, habe ich sie ein- oder zweimal in angemessenem Ton verwarnt. Ich hätte nie gedacht, daß sie so etwas tun würde. Sie muß wohl sehr ernste Probleme gehabt haben.«
»Hat sie mit Ihnen über ihre Probleme gesprochen?«
»Insofern diese Probleme den Hochschulbereich tangierten, durchaus. Ich bin immer für meine Studenten da und als ein guter Zuhörer bekannt.«
»Welche Probleme, die den Hochschulbereich tangieren, hat Betül Ihnen gegenüber zum Beispiel angesprochen?«
Wieder geriet Vahap ein wenig aus der Fassung, er rieb sich nervös die Hände, als wüßte er nicht, was er mit ihnen anfangen sollte.
»Das kann ich Ihnen nicht mehr sagen. Es wird wohl um den Unterrichtsstoff gegangen sein.«
»Haben Sie sie öfter angerufen?«
»Also, ich, äh…«
Behzat Ç kniff seine braunen Augen zusammen und sagte: »Hör zu, Hoca. Ich bin von Berufs wegen nicht auf offene Worte eingestellt. Aber ein paar offene Worte sollten wir heute sprechen. Hatten Sie ein Verhältnis mit Frau Gülsoy jenseits des Verhältnisses zwischen Studenten und Hochschullehrern?«
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Die 216 wippte in seinem Mundwinkel. Das waren in der Tat offene Worte.
»Ne… ne… ne…«, brachte Vahap stotternd heraus, es sollte wahrscheinlich »Nein« heißen. Doch sein Versuch, offene Worte zu erwidern, wurde von einem furchtbaren Lärm unterbrochen, der aus dem Korridor kam. Die rechteckige Luke über der Tür zerbarst und das anschwellende Geschrei drang mit den Glassplittern zusammen ins Bürozimmer. Behzat Ç und Eda sprangen reflexartig auf und versicherten sich, daß ihre Schußwaffen einsatzbereit waren. Die Angst in Vahaps Augen hatte eine neue Dimension
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