Bei Anbruch der Nacht
aber von echter Liebe kann keine Rede sein. Sie bringt ihn dazu, dass er dir ein neues Gesicht zahlt. Sobald du auskuriert bist, kommt sie zurück, du siehst gut aus, sie giert nach deinem Körper, sie kann’s gar nicht erwarten, sich in der Öffentlichkeit mit dir zu zeigen …«
An dieser Stelle unterbrach ich ihn und sagte, ich sei zwar
nach den vielen Jahren an die Niederungen, in die er hinabsteige, wenn er was von mir wolle, das beruflich für ihn von Vorteil sein könnte, gewöhnt, aber dieser neueste Trick sei derart tief unten, dass kein Lichtstrahl mehr dorthinab gelange und dampfender Pferdemist innerhalb von Sekunden zu Eis gefroren sei. Und apropos Pferdemist könne ich zwar verstehen, dass er von Natur aus die ganze Zeit Scheiße schaufeln müsse, aber dass es doch eine vernünftigere Strategie seinerseits wäre, wenn er sich was einfallen ließe, bei dem wenigstens die Chance bestehe, dass ich ein, zwei Minuten zuhörte. Dann legte ich auf.
Die nächsten paar Wochen waren die Jobs noch dünner gesät als sonst, und wann immer ich Bradley anrief und fragte, ob er was für mich habe, sagte er sinngemäß: »Es ist schwer, jemandem zu helfen, der sich nicht selbst helfen will.« Irgendwann fing ich an, die Sache pragmatischer zu sehen. Dass ich Geld verdienen musste, war nicht zu leugnen. Und wenn ich diese OP auf mich nähme: Wäre es denn ein so schlechtes Ergebnis, wenn in der Folge davon wirklich sehr viel mehr Menschen meine Musik zu hören bekämen? Und was war mit meinen Plänen, eines Tages eine eigene Band zu haben? Wie sollte es je dazu kommen?
Etwa sechs Wochen nach Helens Angebot erwähnte ich schließlich beiläufig gegenüber Bradley, dass ich darüber nachdächte. Das reichte ihm. Er legte sofort los, telefonierte, arrangierte, schrie herum und wurde immer aufgeregter. Eines muss man ihm lassen, er hielt sein Wort: Er übernahm die ganzen Vermittlungen, sodass ich kein einziges demütigendes Gespräch mit Helen, geschweige denn mit Prendergast führen musste. Zeitweise erzeugte Bradley sogar die Illusion, er handle ein Geschäft für mich aus, ich sei derjenige, der was anzubieten
hatte. Trotzdem überkamen mich mehrmals am Tag Zweifel. Als es dann so weit war, passierte es sehr plötzlich. Bradley rief an: Bei Dr. Boris habe in letzter Minute jemand abgesagt, und ich müsse noch am selben Nachmittag um halb vier mit gepacktem Koffer bei dieser und jener Adresse erscheinen. Vielleicht bekam ich im letzten Moment doch noch Muffensausen, denn ich weiß noch, wie mich Bradley durchs Telefon anbrüllte, ich solle mich zusammenreißen, er komme jetzt her, um mich persönlich hinzubringen, und dann wurde ich eine Serpentinenstraße hinauf zu einer Villa in den Hügeln von Hollywood gefahren und unter Narkose gesetzt, genau wie eine Figur aus einem Raymond-Chandler-Roman.
Nach ein paar Tagen brachte man mich hierherunter, in dieses Hotel in Beverly Hills. Im Schutz der Dunkelheit schob man mich durch den Hintereingang herein und diesen Flur entlang, der so exklusiv ist, dass wir vom normalen Leben im Hotel vollständig abgeriegelt sind.
In der ersten Woche schmerzte mein Gesicht, und von den Betäubungsmitteln in meinem Blutkreislauf war mir ständig leicht übel. Ich musste in halb sitzender Position schlafen, was bedeutete, dass ich kaum schlief, und weil die Krankenschwester darauf bestand, mein Zimmer dauernd im Dunkeln zu halten, verlor ich jedes Zeitgefühl. Trotzdem ging es mir nicht schlecht. Eigentlich war ich recht beschwingt und voller Hoffnung. Ich hatte absolutes Vertrauen zu Dr. Boris, schließlich war er ein Mann, in dessen Hände Filmstars ihre gesamte Karriere legten. Mehr noch, ich war mir sicher, dass er an mir sein Meisterwerk verrichtet hatte; dass beim Anblick meines Versagergesichts sein tiefster Ehrgeiz erwacht war, dass er sich erinnert hatte, weshalb er diesen Beruf überhaupt ergriffen
hatte, und alles gegeben hatte und mehr. Wenn der Verband herunterkäme, könnte ich mich auf ein sauber modelliertes Gesicht freuen, ein bisschen brutal und doch voller Nuancen. Ein Mann seines Rufs hätte die Erfordernisse eines ernsthaften Jazzmusikers gründlich durchdacht und sie nicht mit den Bedürfnissen eines, sagen wir: Fernsehmoderators verwechselt. Vielleicht hätte er sogar noch etwas hineingelegt, um mir dieses leicht Getriebene zu verleihen, ein bisschen wie der junge De Niro oder wie Chet Baker, bevor ihn die Drogen verwüsteten. Ich dachte an die Platten, die ich
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