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Bei Anbruch der Nacht

Titel: Bei Anbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Plastikbuchstaben geklebt, lautete: »J. A. POOL CLEANSERS INC. – FRÜHSTÜCKS-RAUM.«
    »Kein Wunder, dass wir das Büro mit den ganzen Preisen nicht gefunden haben«, sagte sie. »Das ist der falsche Festsaal.«
    »Egal. Was wir wollen, ist ja jetzt hier.«
    Wir durchquerten den Festsaal und betraten vorsichtig den Anrichteraum. Wie zuvor brannte die Notbeleuchtung, und jetzt fiel auch ein bisschen Tageslicht durch die Lüftungsfenster herein. Es war niemand zu sehen, aber als ich die Arbeitsflächen entlangblickte, war klar, dass wir ein Problem hatten.
    »Sieht so aus, als wär jemand hier gewesen«, sagte ich.

    »Tja.« Lindy ging ein paar Schritte den Mittelgang entlang und sah sich um. »Tja. Sieht so aus.«
    Alle Kanister, Tabletts, Kuchendosen, mit Silberkuppeln zugedeckten Servierplatten, die wir zuvor gesehen hatten, waren verschwunden. Stattdessen erblickten wir sauber gestapelte Teller und gefaltete, ordentlich bereitgelegte Servietten.
    »Okay, das Essen haben sie weggeräumt«, sagte ich. »Die Frage ist: wohin?«
    Lindy wanderte weiter durch den Gang, dann drehte sie sich um. »Wissen Sie noch, Steve, als wir letztes Mal hier waren, bevor die zwei Männer reinkamen? Wir hatten einen ziemlichen Streit.«
    »Ja, weiß ich. Aber warum das jetzt noch mal ausbreiten. Ich hab mich danebenbenommen. Ist mir klar.«
    »Ja, schon gut, vergessen wir’s. Also wo ist jetzt dieser Truthahn hin?« Wieder sah sie sich um. »Wissen Sie was, Steve? Als Kind wollte ich unbedingt Tänzerin und Sängerin werden. Ich hab mich unglaublich angestrengt, weiß Gott, wie ich mich angestrengt habe, aber die Leute lachten bloß und winkten ab, und ich dachte, wie ungerecht ist die Welt. Dann wurde ich ein bisschen größer und kapierte, dass die Welt gar nicht so ungerecht ist. Dass auch Leute wie ich, die Nichtvon-Gott-Gesegneten, eine Chance haben, dass sie trotzdem einen Platz an der Sonne finden können, dass man sich nicht damit begnügen muss, nur Publikum zu sein. Leicht ist es nicht, das war mir schon damals klar. Man muss dran arbeiten, und man darf nicht drauf hören, was die Leute sagen. Aber eine Chance hat man jedenfalls.«
    »Tja, sieht so aus, als hätten Sie alles richtig gemacht.«
    »Ja, ist es nicht komisch, wie diese Welt funktioniert? Wissen Sie, es war, glaube ich, sehr einfühlsam. Von Ihrer Frau,
meine ich. Dass sie Ihnen gesagt hat, Sie sollen sich operieren lassen.«
    »Lassen Sie meine Frau aus dem Spiel. Hey, Lindy, wissen Sie, wo das hinführt? Dort hinten?«
    Am anderen Ende des Raums, wo die Arbeitsflächen endeten, führten drei Stufen zu einer grünen Tür hinauf.
    »Wieso probieren wir’s nicht aus?«, sagte Lindy.
    Wir öffneten die Tür so vorsichtig wie die letzte, und als wir eingetreten waren, verlor ich im ersten Moment völlig die Orientierung. Es war stockfinster, und egal, in welche Richtung ich mich wandte, ich kämpfte gegen eine Art Stoff, einen Vorhang oder eine Plane. Lindy, die irgendwo vor mir mit der Taschenlampe leuchtete, schien sich besser zurechtzufinden. Irgendwann hatte ich mich befreit und stolperte hinaus in einen dunklen Raum, in dem sie mich erwartete, den Lichtstrahl auf meine Füße gerichtet.
    »Ist mir schon aufgefallen«, flüsterte sie. »Sie reden nicht gern über sie. Ihre Frau, meine ich.«
    »Das stimmt nicht ganz«, flüsterte ich zurück. »Wo sind wir?«
    »Und sie kommt Sie nie besuchen.«
    »Weil wir im Moment nicht wirklich zusammen sind. Wenn Sie es unbedingt wissen wollen.«
    »Oh, tut mir leid. Ich wollte nicht neugierig sein.«
    »Sie wollten nicht neugierig sein?!«
    »Hey, Süßer, schauen Sie nur! Das ist es! Wir haben’s gefunden!«
    Sie richtete den Lichtstrahl auf einen Tisch nicht weit von uns. Ein weißes Tischtuch lag darauf, und auf dem Tischtuch ragten, Seite an Seite, zwei Silberkuppeln empor.
    Ich trat näher und hob vorsichtig die eine Kuppel hoch.
Wie nicht anders zu erwarten, lag ein dicker gebratener Truthahn darunter. Ich schob ihm einen Finger in den Bauchraum und tastete darin herum.
    »Nichts drin«, sagte ich.
    »Sie müssen tiefer hinein. Ich hab das Teil ganz weit hineingeschoben. Diese Truthähne sind größer, als man denkt.«
    »Ich sag Ihnen, da ist nichts drin. Leuchten Sie mal hier herüber. Na gut, versuchen wir’s beim anderen.« Ich nahm den Deckel vom zweiten Truthahn.
    »Wissen Sie, Steve, ich finde, das ist ein Fehler. Es muss Ihnen wirklich nicht peinlich sein, darüber zu reden.«
    »Worüber?«
    »Dass

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