Bei Anbruch der Nacht
seine Hand in einem Huhn oder so was steckt.«
Ich richtete mich auf und begann instinktiv mit einer achselzuckenden Bewegung die Arme auszustrecken, und nachdem meine rechte Hand noch immer bis übers Handgelenk in dem Truthahn steckte, brachte allein das Gewicht das gesamte Arrangement zum Einsturz. Wenigstens musste ich jetzt nicht mehr heimlichtun, weshalb ich mich richtig ins Zeug legte und vor nichts zurückschreckte, um dem Truthahn sowohl meine Hand als auch die Figur zu entwinden. Der Mann redete unterdessen weiter ins Telefon.
»Nein, es ist genau so, wie ich es sage. Und jetzt nimmt er das Huhn ab. Oh, und er zieht was raus. Hey, Mann, was ist das? Ein Alligator?«
Die letzten zwei Sätze waren, mit bewundernswertem Gleichmut, direkt an mich gerichtet. Aber jetzt hatte ich die Figur in der Hand, und der Truthahn landete mit einem dumpfen Plumpsen auf dem Boden. Während ich in die Dunkelheit hinter mir floh, hörte ich den Mann zu seinem Telefonpartner sagen: »Woher soll ich das wissen? Eine Art Zaubervorführung vielleicht?«
Ich weiß nicht mehr, wie wir in unsere Etage zurückkamen. Beim Abgang von der Bühne verhedderte ich mich noch einmal in einem Vorhangwust, aber dann war sie da und griff nach meiner Hand. Gleich darauf hasteten wir durch das Hotel, unbekümmert, ob wir Lärm machten oder ob uns jemand sah. Irgendwo in einem Flur stellte ich die Figur auf einem Servierwagen des Zimmerservice neben den Resten eines Abendessens ab.
Zurück in Lindys Zimmer, warfen wir uns aufs Sofa und
lachten, lachten, bis wir übereinanderfielen; dann stand sie auf, trat ans Fenster und zog die Rollläden auf. Draußen war es jetzt hell, aber der Himmel war bewölkt. Sie ging zu ihrer Vitrine, um Drinks zu mixen – »den aufregendsten alkoholfreien Cocktail der Welt« -, und brachte mir ein Glas. Ich rechnete damit, dass sie sich wieder zu mir setzte, aber sie kehrte zum Fenster zurück. Dort stand sie und nippte an ihrem Glas.
»Freuen Sie sich drauf, Steve?«, fragte sie nach einer Weile. »Dass der Verband runterkommt?«
»Ja. Schon.«
»Noch letzte Woche habe ich kaum daran gedacht. Es schien mir noch so lang hin. Aber jetzt ist es gar nicht mehr so lang.«
»Das stimmt«, sagte ich. »Für mich ist es auch nicht mehr lang.« Dann sagte ich leise: »Jesus.«
Sie trank und blickte aus dem Fenster. Ich hörte sie sagen: »He, Süßer, was ist los?«
»Nichts, alles in Ordnung. Ich brauch einfach ein bisschen Schlaf.«
Sie musterte mich eine Zeit lang. »Ich sag Ihnen was, Steve«, sagte sie schließlich. »Es wird gut. Boris ist der Beste. Sie werden sehen.«
»Ja.«
»Hey, was ist? Schauen Sie, bei mir ist es das dritte Mal. Das zweite Mal bei Boris. Es wird alles sehr gut. Sie werden toll aussehen, einfach toll. Und Ihre Karriere. Von jetzt an geht es raketenmäßig aufwärts.«
»Vielleicht.«
»Nicht vielleicht! Es macht einen Riesenunterschied, glauben Sie mir. Sie kommen in die Illustrierten, Sie kommen ins Fernsehen.«
Darauf sagte ich nichts.
»He, na kommen Sie!« Sie kam ein paar Schritte auf mich zu. »Kopf hoch! Sie sind doch nicht mehr sauer auf mich, oder? Wir waren ein tolles Team da unten, nicht? Und ich sag Ihnen noch was. Von jetzt an bleibe ich in Ihrem Team. Sie sind ein verdammtes Genie, und ich werde dafür sorgen, dass die Sache läuft.«
»Das wird nicht funktionieren, Lindy.« Ich schüttelte den Kopf. »Es wird nicht funktionieren.«
»Und wie das funktioniert! Ich rede mit Leuten. Mit Leuten, die eine Menge für Sie tun können.«
Ich schüttelte weiter den Kopf. »Das ist wirklich nett von Ihnen. Aber es ist sinnlos. Es war von Anfang an eine Schnapsidee. Ich hätte nicht auf Bradley hören dürfen.«
»Hey, Kopf hoch. Ich bin zwar nicht mehr mit Tony verheiratet, aber ich habe immer noch eine Menge Freunde hier in der Stadt.«
»Sicher, Lindy, das weiß ich. Aber es ist sinnlos. Verstehen Sie, Bradley – das ist mein Manager -, er hat mich zu der ganzen Sache überredet. Ich war ein Idiot, dass ich auf ihn gehört habe, aber ich konnte nicht anders. Ich war mit meinem Latein am Ende, und dann kam er mit seiner Theorie an. Er sagte, Helen, meine Frau, hat sich das Ganze ausgedacht. Sie hat mich gar nicht wirklich verlassen. Sondern es gehört alles zu ihrem Plan. Sie tut das alles für mich, um mir diese OP zu ermöglichen. Und wenn der Verband runter ist und ich ein neues Gesicht habe, kommt sie zurück, und alles ist wieder gut. Das hat Bradley gesagt.
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