Bei Anbruch des Tages
Sohn!«, beendete Amilcare, der die Wahrheit ahnte, es aber lieber nicht ganz so genau wissen wollte, das Gespräch.
6
G uido hielt sich erschrocken die Ohren zu. Die lauten Stimmen, die aus dem Zimmer seiner Eltern kamen, hatten ihn geweckt.
Es war ein Nachmittag im Juli, die Sonne fiel durch die angelehnten Fensterläden, und die Wellen brachen sich an dem Felsvorsprung, auf dem sich die Villa der Cantonis unweit von Santa Margherita erhob.
Guido war vier Jahre alt. Wie jeden Sommer verbrachte er viele Wochen mit seiner Mutter am Meer. Sein Vater kam nur an den Wochenenden, manchmal mit Opa Amilcare und seltener mit Onkel Jacopo, Celinas Bruder, und dessen zwei milchkaffeebraunen Kindern. Ihre Mutter war eine Afrikanerin, mit der Jacopo irgendwo in Kenia in einer Kolonialvilla lebte. Die beiden Kinder hieÃen Désirée und Joseph, sie sprachen Französisch, konnten aber auch ein bisschen Italienisch. Sie waren fantastische Schwimmer und hatten ihm gezeigt, wie man vom Trampolin kopfüber in den Pool sprang.
Guido mochte seinen Cousin und seine Cousine sehr. Er hatte einige französische Worte gelernt, die er noch wiederholte, wenn die beiden längst wieder nach Afrika zurückgekehrt waren. Onkel Jacopo, der abenteuerliche Geschichten von Elefanten, Löwen, Gazellen und Schlangen erzählte, war sein groÃer Held.
Guido wäre glücklich gewesen, wenn seine Eltern sich gut vertragen hätten, doch leider stritten sie häufig. So wie jetzt. Irgendwann war der Streit vorbei, er hörte lautes Türenknallen und die sich entfernenden Schritte seines Vaters. Da schlüpfte er aus dem Bett und ging zur Tür, die sein Zimmer mit dem seiner Eltern verband, und lauschte. Stille.
Vorsichtig drückte er die Klinke herunter. Er öffnete die Tür und wurde von dem grellen Nachmittagslicht geblendet, das durch die geöffnete Balkontür hereinschien.
Er sah seine Mutter im Sessel sitzen. Sie hatte die Augen geschlossen und die Knie angezogen. Sie hielt sie umschlungen, und ihr langes blondes Haar fiel offen auf ihre Schultern. Als er ihr sanft über den Arm strich, zuckte Celina zusammen. Sie lächelte ihren Sohn verweint an und fuhr ihm zärtlich durch die braune Mähne.
»Warum schreit der Papa so?«, fragte Guido.
Celina nahm ihn auf den SchoÃ, umarmte ihn sanft und sagte: »Es ist nichts, mein Kleiner. Schau, ich weine schon gar nicht mehr.«
»Warum schreit der Papa so?« Guido lieà nicht locker.
»Ich werde versuchen, es dir zu erklären. Hättest du gern ein Brüderchen oder ein Schwesterchen?«
»Weià nicht.«
»Papa würde dir gern ein Brüderchen schenken, aber es kommt nicht.«
»Warum nicht?«
»Keine Ahnung, aber Papa hätte gern viele so schöne, brave Kinder wie dich.«
»Wenn er schreit und du weinst â kommen sie dann?«
»Wohl eher nicht!«, sagte Celina lächelnd.
»Ich hätte gern Désirée und Joseph hier. Die können ja so tun, als ob sie meine Geschwister wären«, schlug das Kind eifrig vor.
In diesem Moment betrat Renzo das Zimmer und umarmte ihn und die Mutter gleichzeitig. »Ich bin ein Idiot«, sagte er. »Ich liebe euch so sehr und lasse euch leiden. Los, macht euch fertig, wir gehen runter zum Schwimmbad und spielen im Wasser!«
Der Grund für den häufigen Streit war immer der gleiche: Trotz aller Bemühungen wurde Celina nicht schwanger.
Als Renzo begonnen hatte, sich deswegen Sorgen zu machen, hatte Celina sich einer Reihe von Untersuchungen unterzogen. Mit dem Ergebnis, dass sie eine gesunde, fruchtbare Frau war, die jede Menge Kinder bekommen konnte.
»Möglicherweise liegt das Problem bei Ihrem Mann«, hatte der Gynäkologe gesagt, nicht ohne hinzuzufügen: »Er sollte sich von einem Spezialisten untersuchen lassen.«
Als sie kurz darauf mit Bianca sprach, mit der sie sich glänzend verstand, erzählte Celina ihr von dem Vorschlag des Arztes. AnschlieÃend sagte sie den Satz, den sie besser für sich behalten hätte: »Woher soll ich nur den Mut nehmen, Renzo zu sagen, dass es wahrscheinlich an ihm liegt, dass wir keine Kinder bekommen können?« Gleich darauf war sie erschreckt verstummt. Der kleine Guido war sieben Monate nach der Hochzeit zur Welt gekommen, aber da er sehr zart gewesen war, hatten seine Eltern ihn als Frühgeburt ausgegeben.
»Wer ist der Vater des Kindes?«,
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