Bei Anruf - Angst
Rufzeichen.
Dann wurde abgehoben und der
studentische Fahrer meldete sich.
„Taxi.“
„Wir sind’s“, sagte Tim. „Ihre
Fuhre von eben. Sind Sie noch auf der Rückfahrt?“
„Du sagst es. Soll ich euch
abholen?“
„Wir bitten darum.“
„Onkelchen — wie ihr ihn nennt
— ist euch wohl entwischt?“
„Leider. Mehr noch. Er hat uns
reingelegt. Sie können sich einen Lebensretterorden verdienen, indem Sie uns
befreien. Wir sind in einem der Bombenkeller, dem ersten — von der Straße aus.
Und der Eingang ist verriegelt.“
Tim erzählte das Nötigste. Der
Student lachte. Er hatte schon gewendet und kam. Aber eine Viertelstunde würde
es dauern.
TKKG sockten zum vorderen
Eingang zurück und warteten dort. Die Tür war immer noch verschlossen.
„Was eine Schleuse ist“, sagte
Klößchen, „weiß ich — im Prinzip. Aber wie Schleuserbanden arbeiten — da fehlt
mir noch der Durchblick. Ist denn das überhaupt lohnend, diese armseligen
Menschen ins Land zu bringen?“
„Leider ja“, erklärte Tim. „Es
ist sogar ein Riesengeschäft. Etwa 50 Milliarden Mark, bzw, etwa 25 Milliarden
Euros verdienen die Schleuser pro Jahr mit dem Menschenschmuggel. Das ist eine
gesicherte Zahl. Ungeheuerlich, was! Es funktioniert so: Flüchtlinge von ganz
weit weg — von jwd — verlassen ihr Land. Es sind Ägypter, Albaner, Koreaner,
Rumänen und viele andere. Sie verlassen die Heimat, weil sie dort verhungern
würden, weil sie politisch verfolgt werden oder weil sie ihre Religion nicht
ausüben dürfen. Natürlich sind auch Menschen darunter, die sich nur blenden
lassen von unserem wirtschaftlichen Wohlstand. Wie dem auch sei — diese
Flüchtlinge haben nur wenig, landen mit Sack und Pack — oft ganze Familien — im
angrenzenden Ausland. Angrenzend zu Deutschland, meine ich. Meistens in Polen,
in der Tschechischen Republik oder in Österreich. Weil das kleine Deutschland
aber nun mal nicht alle Armseligen und Bedürftigen der Welt aufnehmen kann — ausgenommen
jene, die tatsächlich um Leib und Leben fürchten müssen — besteht für die
Mehrzahl der Flüchtlinge keine Chance hier offiziell, also amtlich, aufgenommen
zu werden. Denn die Arbeitslosigkeit ist ja auch bei uns ein Problem, weil die
Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten längst nicht mehr für alle Deutschen
reichen. Das schert die Schleuser, diese Verbrecher!, natürlich nicht die
Bohne. Sie versprechen den Flüchtlingen: Wenn ihr erst mal in Deutschland seid
— dann geht’s schon weiter. Denn Deutschland ist das Paradies, das
Wirtschaftsparadies. Aber das Paradies kostet Eintrittsgeld. Im Durchschnitt
nehmen die Schleuser den Flüchtlingen zwischen 5000 und 70 000 Mark ab. Dafür,
dass sie hereingeschleust, herein geschmuggelt werden. Manche Flüchtlinge
können das aufbringen. Aber dann sind sie pleite. Andere können nur eine
Anzahlung leisten und sind bei den Verbrechern dann auf ewig verschuldet. Und
die holen sich ihr Geld.“
„Wie denn?“, fragte Klößchen. „Wenn
doch die Flüchtlinge nichts mehr besitzen.“
„Da gibt es im Allgemeinen zwei
Möglichkeiten. Wenn die Flüchtlinge nicht gleich wieder abgeschoben werden,
sondern bleiben dürfen, erhalten sie Sozialhilfe. Davon müssen sie dann bei den
Schleusern ihre Schulden ableisten. Die aggressiven und gewalttätigen Typen
unter den Flüchtlingen gleiten häufig ab in die Kriminalität, nachdem sie zuvor
abgetaucht sind in die Illegalität — also in den Untergrund, in den nicht
genehmigten Aufenthalt. Versteht sich, dass sie von ihrer Beute die Schulden
bezahlen müssen. Ein Teufelskreis.“
„Und die Schleuser bieten
nichts weiter als den heimlichen Grenzübertritt?“, fragte Klößchen.
„Das Angebot der einzelnen
Banden ist unterschiedlich. Für den billigsten Tarif gibt es nur Karten, wo
Schlupflöcher in der Grenze verzeichnet sind. Für höhere Preise gibt es
organisierte Bus-Touren mit gefälschten Pässen. In speziell hergerichteten
Großfahrzeugen sind geheime Kammern angebracht, in denen die Flüchtlinge
versteckt werden. Sehr häufig kommt es zu Todesfällen, weil die Menschen in
diesen Kammern ersticken oder — wenn man sie über die feuchte Grenze schickt,
nämlich die Grenzflüsse Oder und Neiße — weil sie dann in dem angeblich
seichten Wasser ertrinken. Fast 50 Menschen erlitten dieses Schicksal im
letzten Jahr.“
„Das ist ja Mord.“
„Kann man sagen“, nickte Tim. „Ich
sehe da auch keinen Unterschied. Jedenfalls bleibt festzustellen:
Weitere Kostenlose Bücher