Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt - Roman
haben, der inzwischen zu ihrem Besitz geworden ist. Die sich keine Gedanken mehr über ihr Leben machen, keine finanziellen Probleme haben und schöne Urlaube organisieren, damit das Familienleben nach außen funktioniert. Und dabei so tun, als wäre das die allein selig machende Art zu leben für eine Frau.«
Doris war blass geworden. Sie schluckte, strich sich eine |143| Haarsträhne hinters Ohr und sah Anke lange an. »Ich bin doch auch so«, sagte sie leise. »Und ich hasse es. Vieles war gar nicht so geplant, es hat sich einfach so ergeben. Ich beneide dich und Katja um eure Jobs, um eure Selbstbestimmung. Ich bin doch nur noch die Frau von Torsten und die Mutter meiner Söhne. Glaub mir, Anke, ich wollte damals viel mehr. Ich wollte Doris Goldstein sein, Grafikerin oder Illustratorin. Stattdessen bin ich Frau Wagner, dieser Doppelname ist doch Quatsch, in Lüneburg oder in der Firma heiße ich doch nur so wie mein Mann. Ich habe inzwischen das Gefühl, mir nur die Zeit zu vertreiben und darauf zu warten, dass irgendetwas passiert.« Sie zwinkerte die aufsteigenden Tränen weg.
Anke beugte sich vor. »Hey, ich meinte nicht dich. Manchmal geht mein Lebensfrust mit mir durch. Ich glaube, mir fehlen auch schon die Hormone, ich werde sehr schnell so wütend. Tut mir leid.«
Doris versuchte ein Lächeln und wischte sich mit dem Bademantelärmel über die Augen. »Schon gut. Du hast ja …«
»Was ist denn mit euch los?« Katjas tiefe Stimme zerschnitt die bleierne Stimmung. »Ich war doch gar nicht so lange weg. Kerner? Goldstein? Über was, zur Hölle, redet ihr hier? Ihr habt für schwere Themen gar keine Zeit, Doris kriegt jetzt Pediküre und neuen Nagellack. Die Dame heißt Cindy und wartet auf dich.«
Zehn Minuten später saß Doris mit geschlossenen Augen auf einem bequemen Sessel und ließ ihre Füße in einem Sprudelbad aufweichen. Das leise Blubbern, das gedämmte Licht, die beruhigende Hintergrundmusik und die Wärme unter der Decke machten sie schläfrig und ihre Atemzüge wurden |144| langsamer. Was war das nur für ein Gespräch gewesen? Anke hatte doch gar nichts Schlimmes gesagt und sie überhaupt nicht gemeint, sie hatte lediglich über Angelika gesprochen. Aber Doris war in dem Moment klar geworden, warum sie diese Angelika immer unsympathisch gefunden hatte: Die war genau so, wie sie, Doris, nie hatte werden wollen. Und trotzdem sah sie sich auf dem Weg dorthin.
Seit Sascha und Moritz ausgezogen waren, bestanden ihre Aufgaben aus Friseurbesuchen, Einkaufen, Telefonaten, Essenseinladungen und Warten auf Torstens Rückkehr aus der Firma.
Kein Mensch brauchte Doris Goldstein-Wagner wirklich. Und ihr Gehirn dümpelte nur noch vor sich hin. Es wurde ja auch nicht gebraucht.
Cindy, die Kosmetikerin, störte sie in ihren Gedanken.
»So, Frau Goldstein-Wagner, dann wollen wir mal.« Sie breitete ein Handtuch aus und hob Doris’ Füße aus dem Sprudelbad.
Während Cindy erst frottierte und sich danach das Pediküre-Besteck zurechtlegte, fragte sie: »Sie waren doch schon öfter hier, oder? Ihr Gesicht kommt mir so bekannt vor. Ich finde es ja immer schön, wenn Stammgäste kommen.«
»Ja, ja. Aber, entschuldigen Sie bitte, ich habe im Moment überhaupt keine Lust, mich zu unterhalten.«
Entspannt schloss sie die Augen. Cindys leicht beleidigte Miene bekam sie schon nicht mehr mit.
Eines der guten Dinge beim Älterwerden ist zweifelsohne die Tatsache, dass man nicht mehr von jedem gemocht werden muss. Natürlich war es auch in den vergangenen Jahrzehnten egal gewesen, ob man das Herz einer Kosmetikerin eroberte oder nicht, aber Doris hatte es zumindest immer |145| versucht. Wenn sie schon nichts richtig auf die Reihe brachte, sollte man wenigstens über sie sagen, dass sie eine ungemein nette Person sei, immer freundlich, immer höflich, immer zuvorkommend.
Im Geist hörte sie Ankes Stimme: »Goldstein, ich bitte dich. Es gibt ja wohl Wichtigeres im Leben, als zur Kundin des Monats gekürt zu werden.«
Aber was könnte das für sie sein?
Es war schon seltsam: Seit sie mit Katja und Anke in diesem Hotel war, kamen diese Gedanken. Diese Fragen danach, wie das eigene Leben tatsächlich lief. Ob das nur mit diesem Geburtstag zusammenhing oder damit, dass die beiden alten Freundinnen wussten, wie sie mal gewesen war und was sie mit ihrer Zukunft vorgehabt hatte?
Wie viele Stunden hatten sie zusammengesessen, fürchterlich aromatisierte Tees aus Tonkannen getrunken und von ihren Plänen und
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