Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt - Roman
verlor und nur noch heulte.
»Jetzt wirst du hysterisch«, hatte Anke daraufhin klar und deutlich gesagt. »Ich habe dir nicht gestanden, dass ich mit Torsten eine jahrelange Affäre hatte, sondern nur, dass wir einmal beide besoffen miteinander geschlafen haben. Mehr ist doch gar nicht passiert. Es hatte überhaupt keine Auswirkungen auf dein Leben.«
Doris war aufgesprungen und hatte schluchzend das Zimmer verlassen. Margret auf dem Flur zu treffen, empfand sie als die kleinere Bedrohung.
Eine halbe Stunde später hatte Katja geklopft. »Doris, mach auf. Ich hole sonst deine Mutter. Das ist hier wirklich Kinderfasching. Wir sind erwachsen, jetzt denk doch mal nach, worum es eigentlich geht.« Sie hatte Anke an der Hand hinter sich hergezogen.
Katja hatte Anke und Doris auf das Sofa gedrückt und sich dazwischen. Sie hatte verkündet, dass sie so lange hier sitzen bleiben würde, bis alles klar sei, und darauf bestanden, dass Doris erst zuhörte und danach antwortete.
Anke hatte mit tonloser Stimme erklärt: »Nach dem Schwangerschaftsabbruch lief bei mir nichts mehr nach Plan. Und ihr wart so selbstsicher. Doris, hat voller Stolz alles vorgezeigt: das Haus, ihre Kinder, die Firma. Ihre ganze heile Welt. Ich hatte immer Angst, dass ich irgendwann mit der Geschichte rausplatze, nur damit eure heile Welt einen Knacks bekommt.«
Plötzlich hatte Doris verstanden, warum Anke immer so schnippisch gewesen war, wenn sie Torsten getroffen hatte. Warum sie sich so selten gemeldet hatte.
|272| »Heile Welt?« Doris hatte sich an die Zeit erinnert, über die Anke sprach. »Es war keine heile Welt. Ich wollte immer noch studieren, aber die Firma wurde größer und die Kinder anstrengender. Ich hatte damals doch überhaupt keine Zeit für mich. Eigentlich war mir alles zu viel, zu bürgerlich, zu verplant.«
»Das hast du aber nie gesagt«, hatte Katja sie erinnert. »Du Meisterin des Fassadenbaus. Du hattest tatsächlich was Überhebliches, wenn du mit vor Stolz geschwellter Brust von deiner Familie erzählt hast. Ich fand dich damals wahnsinnig spießig.«
Bis um vier Uhr hatten sie nebeneinander auf diesem Sofa gesessen und sich gegenseitig die Dinge erzählt, die sie damals nicht hatten sagen können. Anke, die ihrer Mutter nie verziehen hatte, sich so in ihr Leben eingemischt zu haben. Die sich immer wieder als Opfer und Unglücksrabe empfunden hatte, weil es leichter war, den anderen und dem Leben die Schuld für Dinge zu geben, die ganz anders liefen, als man sie sich gewünscht hatte.
Doris, die sich und allen immer wieder erklärte, dass sie alles richtig machte, nur um nichts durcheinanderzubringen und von allen gemocht zu werden. Die manchmal so trübe Gedanken hatte, dass nur der kalte Weißwein half. Die bei aller Tüchtigkeit über die Jahre vergessen hatte, dass Torsten früher auch ihr bester Freund gewesen war, mit dem sie nächtelang geredet und gelacht, ja, den sie geliebt hatte. Jetzt war sie sich seiner so sicher, dass sie ihn beinahe aus den Augen verloren hatte.
Katja hatte schließlich die Abrechnung unterbrochen. »Es steht unentschieden«, hatte sie gesagt und sich bei beiden untergehakt. »Bei euch beiden ist so einiges aus der Bahn |273| gelaufen, allerdings bin ich der festen Überzeugung, dass wir das alles noch mal in die Spur bekommen. Hört mal: Wir liegen nicht auf dem Sterbebett und ziehen ein letztes Resümee! Wir haben noch alles in der Hand. Das hier war das große Aufräumen und nun richten wir alles neu ein. Na, vielleicht nicht alles, aber wenigstens die eine oder andere Ecke. Macht ihr mit?«
Doris hatte Anke lange angesehen, die dem Blick standhielt. Sie hatten beide gleichzeitig genickt.
Doris warf die Bettdecke von sich und stand auf. Im Badezimmer musterte sie ihr Spiegelbild. Die Reste des Make-ups verteilten sich in ihrem müden Gesicht. Auf der linken Wange hatte sie eine Schlaffalte, die Augenlider waren geschwollen, die Ringe darunter nicht zu übersehen.
Was war das für eine Nacht gewesen! Wann hatte sie das letzte Mal so unverblümt Dinge ausgesprochen und jemandem zugehört? Es war lange her. Bevor sie sich trennten, hatte Anke einen klugen Satz gesagt: »Man ist in dem Moment erwachsen, in dem man akzeptiert, dass man selbst für sein Leben verantwortlich ist. Ich will nicht mehr darauf warten, dass etwas passiert, was mich zwingt, etwas zu tun. Ich will es mir selbst aussuchen. Und angehen. Es wird jetzt Zeit.«
Als sie unter der Dusche stand,
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