Bei Interview Mord
konnte.
»Ach, du bist's.« Sie sah auf die Uhr. »Schon zurück aus Bergisch Gladbach?«
Ich riskierte ebenfalls verstohlen einen Blick auf mein Handgelenk. »Es ist kurz vor halb acht«, sagte ich. »Da wird man ja wohl Feierabend machen dürfen.«
Jutta zog die Augenbrauen hoch. »Kommt drauf an, was man geleistet hat.«
»Wie bist du denn drauf?«, fragte ich und legte die als Geschenk verpackte CD auf den kleinen schmiedeeisernen Tisch in der Diele, auf dem Jutta immer ihre Autoschlüssel und irgendwelchen Zettelkram ablegte. Mir war plötzlich nicht danach zumute, ihr etwas zu schenken.
»Ach, nichts«, sagte Jutta. »Komm schon rein. Ich hatte nur den ganzen Tag Kopfweh, und es ist ein scheußliches Gefühl, wenn man vor lauter Migräne keinen klaren Gedanken fassen kann, aber trotzdem dauernd das Gefühl hat, eine zündende Idee zu brauchen.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, sagte ich und folgte ihr ins Wohnzimmer. Auf dem Glastisch stapelten sich Bücher und Hefte, manche aufgeschlagen und übereinander gelegt, andere geschlossen und zu wackligen Säulen getürmt.
»Was ist denn hier los?«
»Setz dich«, sagte Jutta. »Du willst doch sicher ein Bier trinken.«
»Was trinkst du denn?«, fragte ich und suchte das obligatorische Weinglas, ohne das man Jutta selten auf ihrer Wohnzimmercouch antraf.
»Nichts Alkoholisches«, sagte sie. »Ich hab eine Tablette genommen.«
»Ein Bier ist Ordnung.« Während Jutta in die Küche ging, untersuchte ich den Bücherberg. Es war Literatur über das Bergische Land. Der Kulturreiseführer von DuMont lag aufgeschlagen da. Ein Farbfoto zeigte eine Kirche mit Spitzbögen, die sich mitten im Grünen zu befinden schien. Der Altenberger Dom.
Außerdem gab es noch ein paar andere Bildbände: »Das Bergische Land aus der Vogelperspektive«, ein Buch mit dem Titel »Bergische Mühlen« und einen ziemlich wissenschaftlich aussehenden Band über die Geschichte der Kalkbrennerei in Bergisch Gladbach. Aha, dachte ich. Jetzt ist es mit dem Journalismus bei Jutta schon wieder vorbei. Sie hat einen neuen Spleen und studiert Geschichte.
»Willst du eine Doktorarbeit schreiben?«, fragte ich, als mir Jutta eine Flasche Früh und ein Kölschglas hinstellte. »Oder planst du eine neue Karriere als Reiseführerin?«
»Ach, Remi.« Sie ließ sich in das Sofa fallen und schüttelte den Kopf. »Ich hab dir doch gesagt, dass ich Journalistin bin. Und eine Journalistin braucht Themen. Wer weiß, ob die Radioserie ›Menschen im Bergischen live‹ überhaupt weitergeführt wird.«
»Hat sich Frau Schall denn schon dazu geäußert?« Ich griff nach meinen Zigaretten.
»Lass bitte das Rauchen, Remi, tu mir den Gefallen. Ich bin froh, dass meine Kopfschmerzen gerade etwas besser geworden sind.«
Ich ließ die Schachtel stecken, und Jutta redete weiter.
»Sie hat noch nichts gesagt. Aber man kann ja nie wissen, wie das weitergeht. Jedenfalls habe ich mich gewappnet und mir ein paar interessante Themen überlegt, die man reportagemäßig aufmachen kann.«
Ich goss mir Bier ein. »Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel das Herz des heiligen Engelbert.« Jutta sah mich erwartungsvoll an.
»Kommt jetzt eine Sage oder so was?«
»Von wegen Sage. Die reine Wahrheit.« Jutta las von einem Zettel ab. »Der heilige Engelbert war Kölner Erzbischof und Graf von Berg. Ein sehr mächtiger Fürst in seiner Zeit. Im November 1255 wurde er in der Gevelsberger Schlucht bei Hagen erschlagen. Sein Körper ruht im Kölner Dom. Bis auf sein Herz.«
»Sein Herz?« Ich trank. Das Bier tat gut. »Und wo ist das abgeblieben?«
»Im Altenberger Dom in einem Reliquienschrein. Ist das nicht interessant?«
Ich überlegte. Sicher, bei all der Kirchenbegeisterung zurzeit nach der Papstwahl war das vielleicht ein interessantes Thema, aber…
»Sag mal, soll das ein Beitrag für Radio Berg werden?«
»Einen anderen Auftraggeber habe ich im Moment nicht.«
Ich schüttelte den Kopf. »Radio Berg ist nicht WDR 5.«
»Was meinst du damit?«
Ich dachte an die Musik, die sie auf Radio Berg als die hundertprozentig beste anpriesen, und stellte mir vor, wie eine Stimme sagte: »Und jetzt wieder unsere interessante Reportage über die Geheimnisse des Bergischen Landes… Jutta, was hast du denn diesmal Tolles mitgebracht?« Und dann sagte Jutta etwas über den Altenberger Dom und das Engelbert-Herz…
»Ich finde, das ist irgendwie zu kulturell«, sagte ich und konnte förmlich sehen, wie Jutta
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