Bei Interview Mord
rein.«
Sie machte Platz, und ich betrat einen schmalen Flur. Weiter hinten erkannte ich in einem größeren Zimmer vor einem Balkonfenster eine Liege, wie ich sie schon mal beim Physiotherapeuten gesehen hatte. Sie befand sich mitten in einem Wohnzimmer mit Sitzecke auf der rechten und Esstisch auf der linken Seite. Auf dem Esstisch standen zwei Gläser mit einer grünen Flüssigkeit darin.
»Möchten Sie auch ein Glas Limettenlimonade?«, fragte Frau Tesch.
»Nein, danke. Jutta -«
»Jetzt entspann dich mal, Remi«, sagte Jutta und bot mir einen Platz an dem Esstisch an.
»Ich muss mit dir reden.«
»Gibt's denn neue Erkenntnisse in dem Fall?«
»Nein, das nicht, aber -«
»Na also, dann lass doch mal ein bisschen los und sei locker.«
Frau Tesch stellte mir ein Glas hin, goss grüne Limonade ein und setzte sich ebenfalls. Im Flur, der in Richtung Wohnungstür führte, bewegte sich etwas. Es war eine kleine Katze, die von einem Zimmer ins andere huschte.
»Die Behandlung heute hat mir wieder wirklich gut getan, Asja. Ich glaube, damit komme ich mit dieser schrecklichen Geschichte besser klar«, sagte Jutta und trank einen Schluck.
»Das glaube ich auch«, sagte Frau Tesch. »Aber es wird noch eine Weile dauern. Das ist ja etwas sehr Tiefgreifendes, wenn man gleich zweimal unmittelbar miterleben muss, wie jemand erschossen wird.«
»Frau Tesch hilft mir durch die bioenergetische Behandlung, mit diesen schrecklichen Erlebnissen fertig zu werden«, erklärte Jutta. »Ich habe ihr erzählt, dass du an dem Fall arbeitest.«
Ich wollte etwas sagen, aber Jutta fuhr fort: »Keine Sorge. Zu ihr kannst du vollstes Vertrauen haben.«
»Was ist denn eigentlich Bioenergetik?«, fragte ich.
»Das kannst du am besten erklären, Asja«, sagte Jutta.
Frau Tesch nickte. »Bioenergetik ist eine Heilmethode, die die Balance zwischen Körper, Seele und Geist wiederherstellt. Nur so findet man zu seiner Lebenskraft zurück. Die inneren Ströme der Lebenskraft werden wieder zum Fließen gebracht. Schlechte Energie verschwindet.«
»Wenn's hilft«, sagte ich.
»Mir hat es geholfen«, sagte Frau Tesch. »Ich leide seit fast zwanzig Jahren an einer Gefäßkrankheit und musste lange blutverdünnende Medikamente nehmen. Das ist jetzt nicht mehr nötig. Jutta wird die Methode helfen, den Tod zweier Menschen zu verkraften. Ihr Unterbewusstsein macht sich große Vorwürfe deswegen, denn sie glaubt, schuld daran zu sein, dass diese Menschen in ihren Interviews so brutal umgekommen sind. Ich habe das ganz deutlich gespürt. Dieses negative Glaubensmuster kann man mit Bioenergetik aufbrechen. Wenn man das nicht tut, bleibt die schlechte Energie erhalten. Die Energie des Mörders. Denn auch von seiner Energie hat Jutta etwas abbekommen.«
»Und das haben Sie gespürt? Wie denn?«
Sie schüttelte den Kopf und lächelte. »Intuitiv. Ich fühle, was dahinter steckt. Ich kann das nicht erklären. Aber ich habe etwas geschrieben. Warten Sie einen Moment.«
Sie stand auf, holte etwas, und dann hielt sie ein aufgeschlagenes Notizbuch in der Hand.
»Ich schreibe seit Jahren Gedichte. Das ist meine Art, all die Dinge zu bewältigen, die ich bei den Menschen mitbekommen, die ich behandle.« Sie blätterte. »Gestern hat Jutta die erste Behandlung nach dem Mord bei mir gemacht, und direkt danach drängte es mich, etwas niederzuschreiben. Ich lese das mal vor.«
Sie räusperte sich kurz, dann las sie mit erhobener Stimme langsam und deutlich ein Gedicht.
»Gedanken schweifen… nicht schlafen, nicht essen… mein blutendes Herz… Finger am Abzug… peitschende Erlösung… dein Mörder sank zu Boden… reiß mein Herz heraus… leg es dir aufs Grab… eins sein mit dir… Geduld.«
Sie klappte das Buch zu und sah mich an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und hatte das Gefühl, Frau Tesch wie auch Jutta spürten, dass in diesem Moment etwas in mir vorging.
Das blutende Herz… Ich hatte es im Traum gesehen, nachdem mich der Mörder niedergeschlagen hatte! Im großen Aquarium hatte sich Heike in ein riesiges pulsierendes Herz verwandelt…
War das Zufall? Konnte das überhaupt Zufall sein?
Mein Verstand schaltete sich ein und versuchte mir zu erklären, dass ein Symbol wie ein Herz nicht gerade originell war und in Hunderten Gedichten vorkam.
Doch dann überkam mich ein weiterer Schwall der Erinnerung. Da war eine Stimme in meinem Traum gewesen. Und diese Stimme hatte etwas gesagt. Laut und deutlich. Und plötzlich kam es mir
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