Bei Interview Mord
einzige Person wusste wohl noch nicht so recht, was sie von alldem halten sollte: Frau Schall, die in der ersten Reihe stand. Ihr Gesicht zeigte keine Regung. Jutta machte weiter.
»Wie meinen Sie das? Werfen Sie den Beamten vor, dass sie ihren Job machen?«
»Wie sie ihren Job machen«, sagte ich. »Die denken doch vor allem an ihre Pension. Wann Feierabend ist. Und Wochenende.«
»Wenn Sie so genau wissen, wer hinter den Morden steckt - warum sagen Sie es der Polizei dann nicht einfach?«
»Ach, die würden mir doch nicht glauben. Ich sage Ihnen aber eines - wenn das hier vorbei ist, ist es nur noch eine Sache von Stunden, vielleicht von Minuten, bis der Fall gelöst ist. Der Mörder wird noch einmal zuschlagen. Möglicherweise in diesem Moment.« Hörte Kley-Knöter mich? Wenn ja, musste er doch reagieren! »Wir haben ganz klare Beweise«, sagte ich in das Mikro, und ich sprach nicht zu den Leuten um mich herum, sondern zu dem Mann auf dem Motorrad. »Eigentlich kann sich der Mörder seiner Strafe nur noch entziehen, indem er jetzt und hier auf mich schießt und mich ebenfalls ermordet. Das ist seine einzige Chance. Niemand außer mir weiß, wer er ist. Und ich bin sicher, dass er hierher unterwegs ist.«
Ich sah in betretene Gesichter. Frau Schalls Miene hatte sich versteinert. Ihre dunklen Augen ruhten auf mir wie eine finstere Drohung.
Jutta nickte und fasste für die Hörer zusammen: »Ja, liebe Hörerinnen und Hörer, Sie haben es mitbekommen. Der Fall des ›Tell von Gladbach‹ ist nur eine Sache von Stunden, oder er wird vielleicht gerade in diesem Moment gelöst. Das sagt Privatdetektiv Remigius Rott aus Wuppertal, der behauptet, genau zu wissen, wer der ›Tell von Gladbach‹ ist. Genau heißt bei ihm mit neunundneunzig Prozent Sicherheit.«
Ich sah Jutta an, wie sie in das Mikro sprach, und bemerkte dadurch erst ziemlich spät, was sich im Publikum tat. Die Polizisten standen da und starrten mich an, die anderen Leute schüttelten den Kopf.
»So ein Angeber«, rief einer. Manche lachten. Fast alle zogen sich zurück. Die Redakteure von Radio Berg hielten sich im Hintergrund. Einige stiegen in das schwarze Auto. Ich hatte keine Zeit, mir die Reaktionen weiter anzusehen. Frau Schall kam angerauscht.
»Was habt ihr euch dabei gedacht?«, zischte sie.
Juttas Lächeln, das noch von der Abmoderation auf ihrem Gesicht stehen geblieben war, verschwand. Plötzlich sah sie ganz blass aus. »Aber Claudia, wenn Remi das doch behauptet… und ich habe doch nur zusammengefasst, was er -«
»Du weißt ganz genau, dass man so was unmöglich behaupten kann. Wir haben das doch haarklein besprochen!«
»Aber was -«
»Die Polizisten als faule Beamte hinzustellen! Was fällt Ihnen denn ein?«
»So hab ich es ja gar nicht gesagt«, versuchte ich einzuwenden.
»Herr Rott, ich hatte mich klar ausgedrückt, dass Sie offiziell nichts mit dem Fall zu tun haben. Und jetzt kommen Sie und posaunen das alles ausgerechnet über den Sender hinaus. Und erzählen auch noch, der Mörder sei gerade unterwegs!«
»Ist er auch. Und ich verstehe überhaupt nicht -«
»Niemand ist gefasst worden«, sagte Frau Schall. »Keiner hat auch nur einen Motorradfahrer gesehen.«
Hinter der Chefredakteurin sah ich die Gruppe der Polizisten, die zusammen mit den Leuten von der Sicherheitsfirma näher kamen. Sie gingen langsam. Sie wussten genau, was hier gerade ablief, und wollten Frau Schall Zeit geben, uns zusammenzustauchen.
»So was wie heute wird es nicht mehr geben, dass das klar ist!«
»Können wir da nicht in Ruhe drüber -«, begann Jutta.
»Nein, können wir nicht. Du bist gefeuert.«
»Aber -«
»Erst hast du mich bei dem Interview mit Miriam Kley-Knöter hintergangen, und jetzt das hier. Es reicht. - Herr Rott«, sie wandte sich mir zu, »halten Sie sich bitte in Zukunft von unserem Sender fern,ja?«
Die Gruppe von Männern stand jetzt ganz nahe bei uns. »Es ist alles ruhig geblieben«, sagte Seidel. »Wir ziehen uns zurück.«
Frau Schall nickte. »Danke«, sagte sie und nickte Ballmann zu. Er sah entspannt aus. Wie nach einem leichten Sieg.
»Herr Hauptkommissar, es tut mir Leid. Es war alles ein Missverständnis. Ich habe keine Ahnung, was Herr Rott da erzählt hat. Fragen Sie ihn am besten selbst. Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen.« Damit ging sie.
Jutta gab Peter Volkmer den Kopfhörer. Sie sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen, und trottete Richtung Motorrad. Plötzlich stand ich mit
Weitere Kostenlose Bücher