Bei Landung Liebe
wirklich tun? Nach einigem Überlegen tippte ich eine Nachricht an ihn. Ich bat um etwas Bedenkzeit und gab an, dass mir alles zu schnell gegangen war. Vielleicht würde er sich damit erst einmal begnügen. Ich verschickte die Nachricht und schaltete das Telefon wieder ab, aus Angst, dass Ryan gleich anrufen würde.
Im Wohnzimmer war die Farbe inzwischen angetrocknet, sodass ich eine zweite Schicht auftragen konnte. Die Arbeit tat gut. Seit ich nicht mehr in der Praxis arbeitete, hatte ich mich richtig nutzlos gefühlt. Dies war der erste Tag, bei dem ich das Gefühl hatte, etwas Sinnvolles zu tun. Da wir den schweren Schrank nicht verrutschen konnten, nahm ich einen Pinsel zur Hand und versuchte so gut wie möglich darum herum zu malen. Mir gefiel die Tätigkeit, es hatte etwas Beruhigendes und man sah mit jedem Pinselstrich, dass man etwas schaffte. Als ich fertig war, sah ich mich zufrieden um. Es sah wirklich gut aus. Morgen würde ich noch einmal kontrollieren, ob auch wirklich alles richtig weiß geworden war. Dann konnte ich, falls nötig, ein drittes Mal darüber streichen. Meine Oma erschien in der Türe und betrachtete mein Werk.
„Fantastisch, Isa. Wie frisch nun alles aussieht. Das war schon lange überfällig.“
„Das habe ich gern gemacht. Morgen sehen wir, was als Nächstes dran kommt.“
Allerdings würde die Farbe wohl nicht mehr ausreichen. Am besten fuhr ich gleich los, um einen zweiten Eimer zu kaufen. Aber so wie ich aussah, konnte ich unmöglich aus dem Haus. Ich nahm eine ausgiebige Dusche, bevor ich wieder nach unten ging. Meine Oma saß am Küchentisch und hatte den Kopf über eines ihrer Kreuzworträtsel gebeugt. Ich stecke die Hände in die Hosentaschen meiner Jeans und lehnte mich an die Küchenzeile. Sie sah mich über den Rand ihrer Lesebrille hinweg, mit ihren wachsamen Augen an.
„Was hast du vor?“
„Ich wollte noch einen Eimer Farbe kaufen und dann das Grab besuchen. Möchtest du mit?“
Sie nahm ihre Brille ab und legte sie neben sich auf den Tisch.
„Sei mir nicht böse, aber das kalte Wetter und meine alten Knochen vertragen sich nicht besonders gut.“
Sie knetete ihre leicht knotigen Finger ineinander und sah kurz aus dem Fenster, bevor sie sich wieder ihre Brille auf die Nase schob.
„Schon in Ordnung. Bis später.“
Ich schlüpfte in meine Jacke, die an der Garderobe im Flur hing, und trat nach draußen. Schon nach wenigen Augenblicken bereute ich, weder Mütze noch Handschuhe eingepackt zu haben. Nachdem ich meinen Einkauf erledigt hatte, stellte ich das Auto wieder in der Garage ab und verschloss das Tor. Ich vergrub meine Fäuste tief in den Jackentaschen und machte mich auf den Weg. In der Dorfmitte gab es eine kleine Kirche, um die der Friedhof lag, wo meine Eltern und mein Großvater beerdigt waren.
An meinen Großvater konnte ich mich kaum erinnern. Er war schon recht früh an einem plötzlichen Herzinfarkt gestorben. Ich war damals erst sieben Jahre alt. Seltsamerweise konnte ich mich noch sehr gut an den Anruf in der Nacht erinnern, als meiner Mutter mitgeteilt wurde, dass ihr Vater soeben völlig unerwartet verstorben war. Aus irgendeinem Grund hatte ich nicht richtig schlafen können und schon beim ersten Klingeln des Telefons saß ich aufrecht im Bett. Ich wusste, dass etwas passiert war. Ich hörte, wie meine Mutter die Treppe nach unten eilte und einen kurzen Moment später wieder nach oben kam. Ich vernahm ihr leises Schluchzen und wie sie meinem Vater zuflüsterte, was passiert war. Still verharrte ich in meinem Bett und wagte nicht, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Vielleicht hatte ich in meinem kindlichen Gutglauben die Hoffnung, dass alles nur ein Traum war. Dieser eine Moment war mir immer noch klar und deutlich vor Augen. Warum konnte ich nicht erklären. Mein Atem bildete kleine Dampfwolken in der Luft und der Splitt, der bereits auf den Gehwegen verstreut lag, knirschte unter meinen Schuhsohlen. Der kalte Wind trieb mir die Tränen in die Augen und hinterließ ein unangenehmes Kribbeln auf meiner Haut.
Bald hatte ich das Friedhofstor erreicht. Unschlüssig stand ich davor und blickte zum Himmel. Der Wind jagte die grauen Wolken eilig weiter. Wie lange war ich nicht mehr hier gewesen? Meine Eltern waren seit etwas mehr als zwei Jahren tot. Ich war zur Beerdigung und später, als die Gedenkmesse zum Jahrestag abgehalten wurde, hier. Aber danach? Ich wusste es nicht. Meine Oma kümmerte sich, seitdem Markus und ich in unsere
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