Bei Landung Liebe
ich muss Ihnen leider mitteilen, dass es im Hotel, in dem Ihr Bruder untergebracht war, einen Vorfall gegeben hat.“
Ich bekam eine Gänsehaut und umklammerte das Telefon so fest, dass meine Knöchel weiß hervorstachen.
„Was für ein Vorfall?“
Meine Stimme versagte fast.
„Das wird noch untersucht. Ihr Bruder war in seinem Hotelzimmer, als sein Zimmernachbar ein seltsames Geräusch hörte und jemanden vom Hotel benachrichtigte.“
Mein Gesprächspartner räusperte sich. Blankes Entsetzen machte sich in mir breit. Was war mit meinem Bruder passiert? Ging es ihm gut? Lebte er noch? Die Tränen schossen mir in die Augen und ich erinnerte mich schlagartig an den Tag vor zwei Jahren, als uns mitgeteilt wurde, dass unsere Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren.
Ich hielt mir die Hand vor den Mund und versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken.
„Als man das Zimmer aufsperrte, fand man Ihren Bruder bewusstlos auf dem Boden vor. Er wurde ins Krankenhaus gebracht und wird derzeit auf der Intensivstation betreut. Frau Richter, es tut mir so leid.“
„In welchem Krankenhaus? Können sie mir das sagen?“, stammelte ich.
„Man hat mir eine Telefonnummer gegeben. Vielleicht rufen sie am besten selbst an.“
Hastig schrieb ich die genannte Telefonnummer auf, bedankte mich und legte auf. Mit wackeligen Knien setzte ich mich und atmete tief durch, während ich mit zitternden Fingern die Nummer eintippte. Mein Herz klopfte bis zum Hals, als ich wartete, dass der Anruf von jemandem entgegen genommen wurde.
Es meldete sich eine Intensivkrankenschwester, die mir anbot, mich mit dem behandelnden Arzt zu verbinden. Nach einigen Minuten in der Warteschleife, die mir wie Stunden vorkamen, konnte ich schließlich mit dem zuständigen Arzt sprechen. Er erklärte mir, dass eine durch Bakterien verursachte Lungenentzündung vermutet wurde. Aber da noch keine Laborergebnisse vorlagen, konnte er keine genaueren Angaben machen. Der Zustand meines Bruders war jedoch stabil.
Er stellte mir Fragen über Vorerkrankungen, Auslandsaufenthalte und mögliche Allergien. Ich erzählte dem Arzt von dem Husten, über den sich mein Bruder in den letzten Tagen ab und an beklagt hatte. Jetzt ärgerte ich mich, dass ich das nicht ernster genommen hatte, doch Markus war ein sehr wehleidiger Kranker. Sobald er einmal niesen musste, war er der festen Überzeugung, sich eine schwere Erkältung eingefangen zu haben.
Der Arzt versicherte mir, dass ich im Moment weiter nichts für meinen Bruder tun konnte, und versprach, mich umgehend zu informieren, sobald sich sein Zustand änderte.
Nachdem ich noch eine ganze Weile verloren in unserer Praxis gesessen hatte, schleppte ich mich schließlich nach Hause. „Versuchen Sie, etwas zu schlafen“, hatte mir der Arzt geraten, aber an Schlaf war nicht zu denken. Zuhause angekommen setzte ich mich auf das Sofa und starrte ins Leere. Wie konnte das passieren? Bis auf den Husten gab es bei Markus keinerlei Vorerkrankungen. Zwar rauchte er gelegentlich eine Zigarette aber zugleich trieb er regelmäßig Sport und ernährte sich weitestgehend gesund. Gut, er ging am Wochenende gerne feiern, aber wer tat das nicht?
Mein Bruder war mir in den letzten beiden Jahren so wichtig geworden, dass ich den Gedanken, ihn zu verlieren, kaum ertragen konnte. Immerhin hatte der Arzt Markus’ Zustand zwar als kritisch, aber dennoch stabil bezeichnet. Hoffentlich würden die Laborergebnisse bald vorliegen.
Bis dahin brauchte ich dringend Ablenkung. Nach kurzem Überlegen stürzte ich in die Küche und begann die Schränke auszuräumen, um sie anschließend zu schrubben. Sämtliche Schubladen leerte ich aus, und wischte und scheuerte so lange, bis mir die Hände schmerzten. Ich durchforstete den Kühlschrank und den Vorratsschrank nach abgelaufenen Lebensmitteln, brachte den Müll runter, polierte Gläser, entkalkte die Kaffeemaschine, bis die Küche schließlich so sauber war wie nie zuvor.
Inzwischen war es dunkel geworden, und ich hatte immer noch keine Nachricht aus dem Krankenhaus. Sollte ich selbst anrufen und nachfragen? Nach einigem Überlegen entschloss ich mich dagegen, vertraute auf das Versprechen des Arztes. Diese schreckliche Ungewissheit ließ mich immer wieder an den Tod meiner Eltern denken. Mum und Dad hatten an dem Wochenende Karten für ein Musical gehabt und gleich einen Wochenendtrip daraus gemacht. Sie waren gerade auf dem Heimweg, als irgendein Verrückter einen Steinbrocken von der
Weitere Kostenlose Bücher