Bei Tag und bei Nacht
eine Art Übereinkommen getroffen.«
»Der junge Campbell hat den Leuchtturm vor ungefähr fünf Jahren gekauft.«
Der Witwe entging das Leuchten in Gennies Augen nicht, aber sie fuhr ruhig fort: »Er lebt sehr zurückgezogen. Ein paar Fremden hat er schnell Beine gemacht.«
»Das kann ich mir denken«, murmelte Gennie. »Er ist nicht von der liebenswürdigen Sorte.«
»Dadurch vermeidet er Ärger.« Jetzt warf die ältere Frau der jüngeren unmissverständlich einen scharfen Blick zu. »Der Bursche sieht gut aus. Manchmal fährt er mit den Männern auf den Booten hinaus. Aber er beobachtet mehr, als dass er spricht.«
Gennie schluckte den letzten Bissen vom Heidelbeerkuchen hinunter und fragte überrascht: »Lebt er denn nicht auch vom Fischfang?«
»Das weiß ich nicht. Doch seine Rechnungen zahlt er pünktlich.«
Gennie runzelte die Stirn. Das hatte sie nicht erwartet. »Komisch. Ich hatte den Eindruck …« Welchen denn? überlegte sie. »Sicher bekommt er wenig Post.« Das war ein Schuss ins Ungewisse.
Die Witwe lächelte schlau. »So wenig nun auch nicht«, meinte sie nur. »Vielen Dank für den Kaffee, Miss Grandeau«, sagte sie und erhob sich. »Es würde mich freuen, wenn es Ihnen hier gefällt. Bleiben Sie nur, solange Sie wollen.«
»Vielen Dank«, entgegnete Gennie, der klar war, dass sie mit den mageren Informationen zufrieden sein musste. »Hoffentlich kommen Sie recht bald wieder, Mrs. Lawrence.«
Die Witwe nickte und machte sich auf den Weg. »Sollten Sie irgendwelche Probleme haben, dann sagen Sie nur Bescheid. Wenn es kälter wird, müssen Sie den Ofen heizen. Er zieht gut, aber er ist ein bisschen laut.«
Als Gennie ihr nachblickte, dachte sie an Grant. Er war also kein Einheimischer. Doch Mrs. Lawrence schien ihn zu mögen. Er blieb für sich, das respektierten die Leute in Windy Point. Fünf Jahre! Eine lange Zeit, um sich in einem Leuchtturm zu verkriechen. Was tat er dort?
Achselzuckend belud sich Gennie mit ihrem Zeichengerät. Es war seine eigene Angelegenheit. Sie wollte ihm nur eine Lehre erteilen, nicht mehr und nicht weniger.
Die einzige Mahlzeit, die Grant regelmäßig zu sich nahm, war das Frühstück. Tagsüber aß er, wenn er Appetit hatte, und war dabei nicht wählerisch. Heute hatte er sich nur an den Tisch gesetzt, weil er nicht mehr schlafen konnte. Anschließend war er mit dem Boot hinausgefahren, weil er nicht arbeiten mochte. Die Vorstellung, dass Gennie kaum zwei Meilen entfernt in ihr Bett geschlüpft war, beunruhigte ihn.
Normalerweise genoss er das Meer in der Morgendämmerung: die rötliche Beleuchtung, das Treiben der Fischer und die kühle, saubere Luft. Oft versuchte auch er sein Anglerglück, und manchmal gelang es ihm, das Abendessen zu fangen. Wenn nicht, dann musste er sich mit einer Dose oder einem Steak begnügen.
An diesem Morgen wäre ihm Schlaf willkommener gewesen, und gearbeitet hätte er auch gern. Der Sinn stand ihm nicht nach Angeln, und als Ablenkung taugte es auch wenig. Die Sonne stand noch tief, als er sich schon wieder auf dem Heimweg befand.
Jetzt, zur Mittagszeit, hatte sich seine Stimmung kaum gebessert. Nur die Disziplin, die er sich im Laufe der Jahre selbst auferlegt hatte, hielt Grant am Zeichenbrett fest, wo er die Serie vom Tag vorher perfektionierte und ausarbeitete. Sie hat mich aus meiner Ordnung gerissen, dachte er grimmig, und sie lässt mich nicht los.
An sich beschäftigte er sich oft mit seinen Geschöpfen, aber das war etwas anderes, dann zog er die Fäden. Gennie ließ sich in keine Rolle zwängen.
Genevieve – grübelte Grant, als er peinlich genau Veronicas langes, volles Haar nachzeichnete. Ihre Arbeit hatte ihm sehr gefallen. Da gab es keinen Schnickschnack. Das war klasse. Sie zeichnete mit Stil, und man spürte im Hintergrund stets die Andeutung von Leidenschaft, die sie geschickt mit einem Hauch Fantasie kaschierte. Die Bilder forderten heraus, reizten die Vorstellungskraft und wiesen auf natürliche Schönheit hin.
Wahrscheinlich bot Gennies Privatleben reichlich Gelegenheit zum Studium menschlicher Gefühle. Grants Züge wurden hart. Wenn er sie nicht persönlich getroffen hätte und ein Opfer ihrer Anziehungskraft geworden wäre, könnte er tatsächlich glauben, was Gennie behauptete. Nämlich, dass es sich bei neunzig Prozent der gedruckten Storys nur um dumme Gerüchte handelte.
Jetzt war Grant jedoch davon überzeugt, dass jeder Mann, der in ihre Nähe kam, verrückt nach ihr werden musste. In
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