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Bei Tag und bei Nacht

Bei Tag und bei Nacht

Titel: Bei Tag und bei Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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hoffte er, Gennie möge noch oben stehen und ihn in Ruhe lassen. Aber im Inneren wusste er es besser. Sie war keine Treibhausmagnolie, auch wenn er sie gar zu gern in diese Kategorie eingeordnet hätte. Sie war viel zu lebendig, um sich nur aus der Ferne bewundern zu lassen.
    Unwillkürlich streckte er die Hand aus, um ihr beim letzten Sprung behilflich zu sein. Ihre Körper berührten sich, und als Gennie den Kopf herausfordernd zurücklegte, kitzelte ihr Parfum seine Nase. Sie roch nicht mehr nach Regenwasser, es war ein zarter, sehr erotischer Duft. Im hellen Licht der hoch stehenden Sonne roch sie nach nächtlichen Stunden mit all den leisen, geheimnisvollen Versprechungen, die erst nach Einbruch der Dunkelheit erblühten.
    Wütend, dass er auf eine derart offensichtliche Taktik hereinfiel, ließ Grant sie los. Schweigend setzte er seinen Weg entlang der spitzen Klippen am steinigen, schmalen Strand fort, wo die Wellen sich brachen und hoch in der Luft die Möwen schrien.
    Selbstzufrieden und zuversichtlich durch ihren Anfangserfolg lief Gennie hinter ihm her. Warte nur, Grant Campbell, dachte sie, es kommt noch besser! Ich habe noch nicht einmal richtig angefangen. »Verbringen Sie so Ihre Zeit«, fragte sie laut, »wenn Sie sich nicht gerade in Ihrem Turm einschließen?«
    »Verbringen Sie so Ihre Zeit, wenn Sie nicht an den Brennpunkten von Bourbon Street flanieren?«
    Gennie warf das Haar zurück und hängte sich wieder bei ihm ein. »Gestern sprachen wir hauptsächlich über mich. Erzählen Sie mir etwas über Grant Campbell. Sie sind ein verrückter Wissenschaftler, der fürchterliche Experimente unter strikter behördlicher Geheimhaltung durchführt?«
    Er drehte sich um und warf ihr ein seltsames Lächeln zu. »Im Augenblick sammle ich Briefmarken.«
    Diese Entgegnung verwirrte Gennie, und sie vergaß darüber ihr planmäßiges Vorgehen. »Wie ist es möglich, dass Ihre Antwort fast nach Wahrheit klingt?«
    Achselzuckend marschierte Grant weiter und wunderte sich, dass er seine ungebetene Begleiterin nicht schon längst abgeschüttelt hatte. Sonst kam er hier allein her. Niemals hatte er jemanden mitgenommen, nicht einmal seine selbst erfundenen Geschöpfe durften ihn hierher begleiten. Warum nur störte ihn Gennies Gegenwart nicht? Im Gegenteil, er war beinahe zufrieden.
    »Ein verborgener Ort«, flüsterte Gennie leise.
    Zerstreut blickte Grant auf: »Wie bitte?«
    »Das!« Sie beschrieb mit der freien Hand einen weiten Bogen. »Es ist ein geheimer Platz.« Sie bückte sich und hob eine Muschel auf, die von der Sonne schneeweiß gebleicht war. »Meine Großmutter besitzt ein wunderschönes altes Kolonialhaus, das voller Antiquitäten und Seidenkissen ist. Oben unter dem Dach gibt es ein halbdunkles, staubiges Giebelzimmer. Dort steht ein zerbrochener Schaukelstuhl und eine Kiste voll absolut unnützer Dinge. Stunden könnte ich da zubringen.« Lächelnd sah sie zu Grant auf: »Einem Geheimplatz konnte ich noch nie widerstehen.«
    Grant erinnerte sich plötzlich ganz deutlich an eine kleine Abstellkammer in seinem Elternhaus in Georgetown, wo er als Kind neben anderen Schätzen sein Skizzenbuch versteckt hielt. »Er ist nur so lange geheim, bis jemand davon erfährt.«
    Gennie lachte und fasste ihn unwillkürlich bei der Hand. »Oh nein, man kann ein Geheimnis auch teilen, manchmal wird es dadurch sogar besser.« Sie hielt an und schaute dem waghalsigen Flug einer Möwe nach. »Wie heißen die Inseln dahinten?«
    Grant fühlte sich unbehaglich. Gennies Hand bewegte sich in seiner, als gehörte sie dahin. Er runzelte die Stirn und antwortete unwirsch: »Die haben keinen Namen, meist sind es nur Felsen.«
    »Schade!« Sie war enttäuscht. »Keine verblichenen Knochen oder Wrackteile?«
    Grant musste gegen seinen Willen lachen. »Man sagt, dass ein Schädel dort liegt und stöhnt, wenn ein Sturm aufzieht.«
    »Wessen Schädel?« Gennie wartete begierig auf die Fortsetzung.
    »Der Schädel eines Seemanns«, improvisierte Grant. »Der war der Kapitänsfrau nachgestiegen, die Augen hatte wie eine Meerhexe und mitternachtsschwarzes Haar.« Ohne es zu wollen, spielte er mit Gennies windzerzausten Locken. »Sie umgarnte ihn, machte ihm scheinheilige Versprechen, wenn er das Gold und das Beiboot stehlen würde. Er tat es, weil sie eine Frau war, die einen Mann zum Äußersten treiben konnte – nur durch ihren Blick. Sie fuhr mit ihm davon.« Gennies Haar wickelte sich wie von selbst um seine Finger.
    »Er ruderte

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