Bei Tag und bei Nacht
schließlich das Haus. »Ich kann aber nicht lange bleiben, das Postamt … Sie verstehen!« Aufmerksam blickte sie sich um.
»Das riecht ja wundervoll.« Gennie nahm die Schüssel und eilte zur Küche. Sie war froh, einen Vorwand zu haben. »Für mich allein backe ich nur selten, das lohnt sich einfach nicht.«
»Stimmt, für eine Familie macht es mehr Spaß.«
Gennie spürte Mitgefühl, aber sie schwieg, als sie den Kaffee aufsetzte.
»Sie haben sich schon gut eingerichtet.«
»Ja.« Gennie deckte den Tisch. »Das Haus ist genau das, was mir vorschwebte, Mrs. Lawrence. Es ist perfekt.« Die Hände voll mit Tassen und Untertassen, drehte sie sich zu der älteren Frau um. »Es ist Ihnen bestimmt sehr schwergefallen, hier auszuziehen.« Mrs. Lawrence zuckte fast unmerklich mit den Schultern. »Die Dinge ändern sich eben. Hat das Dach dem Sturm standgehalten?« Gennie verschluckte im letzten Moment eine vorschnelle Antwort.
»Ich hatte keinen Ärger damit«, sagte sie dann. Ob sie der Witwe durch ein mitfühlendes Wort helfen konnte? Als das mit Angela passiert war, hatte jeder ihr den Rat gegeben, sich auszusprechen. Aber sie hatte es nicht getan. Jetzt war sie nicht sicher, wie Mrs. Lawrence reagieren würde und ob ein verständnisvoller Mensch willkommen war. »Haben Sie lange hier gelebt?«, fragte Gennie vorsichtig.
»Sechsundzwanzig Jahre«, antwortete die Frau zögernd. »Wir zogen ein, nachdem mein zweiter Junge geboren war. Er ist jetzt Doktor in Banger.« Man konnte ihr ansehen, wie stolz sie war. »Sein Bruder hat einen Job auf einer Bohrinsel. Er kann die See nicht lassen.«
Gennie setzte sich zu ihr an den Tisch. »Sie haben tüchtige Söhne.War Ihr Mann Fischer?«
»Hummerfischer.« Ihre Stimme klang freundlich. »Ein guter. Er starb auf seinem Boot. Sie sagten, dass es ein Herzschlag war.«
Mrs. Lawrence nahm etwas Sahne in ihren Kaffee. »Er hatte sich immer gewünscht, auf seinem Boot zu sterben.«
Gennie wollte fragen, wann das gewesen war. Aber sie brachte keinen Ton über die Lippen. Würde sie jemals über den Verlust ihrer Schwester so selbstverständlich reden können? »Leben Sie gern in Windy Point?«, fragte sie stattdessen.
»Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Ein paar Freunde sind dort. Die Straße hierher ist auch nicht jedermanns Sache.« Zum ersten Mal erschien ein Lächeln auf ihren Zügen. Das stand ihr sehr gut. »Mein Matthew hat immer furchtbar auf den Weg geschimpft.«
»Das glaube ich gern.« Gennie zog das Tuch von der Schüssel. »Heidelbeerkuchen!«, rief sie begeistert. »Ich sah wilde Heidelbeerbüsche zwischen den Felsen.«
»Man findet genug, wenn man die richtigen Plätze kennt.« Die Witwe beobachtete zufrieden, wie Gennie herzhaft zulangte. »Ein junges Mädchen wie Sie könnte hier draußen einsam sein.«
Gennie schüttelte den Kopf und kaute weiter. »Nein«, erklärte sie schließlich, »ich bin zum Malen gern allein.«
»Sind die Bilder, die im vorderen Zimmer hängen, von Ihnen?«
»Ja, hoffentlich haben Sie nichts dagegen.«
»Ich hatte schon immer eine Vorliebe für Malerei. Es sind gute Bilder.«
Gennie freute sich über diese einfache Feststellung mehr als über schwärmerische Begeisterung. »Danke! Es gibt viele schöne Motive hier. Mehr als ich zuerst dachte.« Grant kam ihr in den Sinn. »Vielleicht bleibe ich ein paar Wochen länger.«
»Sagen Sie es nur. Ich würde mich freuen.«
Gennie betrachtete ihren Gast aufmerksam. »Sie kennen sicherlich den Leuchtturm …«, versuchte sie einen Vorstoß und wusste nicht, wie sie es am besten anstellen sollte, interessante Informationen zu bekommen.
»Früher hat Charlie Dees die Station gewartet«, erzählte Mrs. Lawrence. »Solange ich denken kann, wohnte er dort mit seiner Frau. Jetzt wird mit Radar gearbeitet. Aber mein Vater und mein Großvater mussten sich früher schon auf das Licht verlassen können, sonst wären sie auf die Felsen gestoßen.«
Sicher gab es viele Geschichten, und eines Tages würde sich die Zeit finden, sie zu erzählen, dachte Gennie. Doch im Augenblick war sie weit mehr mit der Gegenwart beschäftigt. Speziell mit dem jetzigen Besitzer. »Ich traf den Mann, der den Turm bewohnt«, erwähnte sie möglichst unauffällig über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg. »Dort will ich auch arbeiten, es ist ein herrlicher Fleck Erde.«
Mrs. Lawrence hob erstaunt die Augenbrauen. »Haben Sie ihm das gesagt?«
Aha! dachte Gennie, man kennt ihn also im Ort. »Wir haben
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