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Bei Tag und bei Nacht

Bei Tag und bei Nacht

Titel: Bei Tag und bei Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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hätte er sie als eingebildet und humorlos abschreiben können, seiner Beachtung nicht wert. Es wäre zumindest ein Versuch gewesen. Aber ihr fröhliches Lachen und ihre strahlenden Augen ließen ihn machtlos werden.
    »Gennie!« Grant flüsterte ihren Namen und berührte sachte ihr Gesicht. Das Lachen verstummte.
    Vielleicht hätte Gennie etwas erwidert, aber die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Die Zeit schien plötzlich stillzustehen. Sanft strich Grant ihr Haar aus dem Gesicht. Das einzige Geräusch war ihr unregelmäßiger Atem. Als er seinen Kopf zu ihr hinunterbeugte, bewegte Gennie sich nicht. Sie wartete …
    Grant zögerte fast unmerklich, ehe seine Lippen ihren Mund berührten – zart, abwartend, und doch löste diese Berührung feurige Schauer aus, die über Gennies Rücken liefen. Wie sie erkannte, erging es ihm nicht anders, denn der Griff seiner Finger in ihrem Nacken verkrampfte sich, ganz kurz nur, dann entspannten sie sich wieder. Er musste das Gleiche wie sie fühlen, diese plötzliche Gewalt, die sie zueinanderdrängte und der dann eine betäubende Schwäche folgte.
    Woher hätte sie wissen sollen, dass die Lippen eines Mannes eine derartige Vielfalt an Gefühlen auslösen konnten? Vielleicht war sie niemals zuvor geküsst worden und hatte es sich nur eingebildet und geglaubt, es sei ein Kuss gewesen. Der Kuss jetzt war Wirklichkeit.
    Gennie konnte es schmecken – seinen warmen Atem. Sie konnte es fühlen – seine Lippen, weich und doch fest und erfahren. Sie konnte ihn riechen – den herben Duft von Wind und See. Durch ihre Wimpern konnte sie sein Gesicht sehen, so nah und doch verwischt. Und als er ihren Namen stöhnte, hörte sie ihn.
    Als Antwort darauf ließ sie sich langsam und voller Genuss in seine Arme sinken. Ein eigenartiges Gefühl, unerwartet und scharf, ließ sie zittern. Was konnte wehtun, wenn der ganze Körper so entspannt und glücklich ist? Doch es kam wieder und schüttelte sie. Ein Rest von Klarheit in ihrem Kopf erinnerte sie daran, dass Liebe auch Schmerz bedeutete.
    Aber nein, Gennie schob den Gedanken an Schmerz von sich, während er sie küsste. Es konnte nicht sein. Sie hatte sich nicht verliebt. Nicht jetzt und nicht in Grant. Das wollte sie keinesfalls. Was wollte sie? Ihn!
    Die Antwort war klar und so einfach. Gennie geriet in Panik.
    »Grant … nein!« Sie versuchte sich ihm zu entziehen, aber die Hand in ihrem Nacken hielt sie fest.
    »Nein – was?« Seine Stimme klang gefährlich ruhig.
    »Ich wollte nicht … Das sollten wir nicht … Ich hatte nicht … Oh …« Gennie schloss die Augen. War sie das, die so unverständlich stotterte?
    »Könntest du das noch mal wiederholen?«
    Der Anflug von Humor in seinem Ton und das vertraute Du halfen ihr auf die Beine. Um sie herum drehte sich der Kirchhof. Sicher war sie nur zu rasch aufgesprungen.
    »Das ist kaum der richtige Ort für solche Sachen.«
    »Was für Sachen?«, warf er ein und erhob sich mit lässiger Grazie. »Wir haben uns nur geküsst. Das ist gebräuchlicher als freundliche Konversation. Dich zu küssen ist zur Gewohnheit geworden.« Er griff nach Gennies Haar und ließ es durch seine Finger gleiten. »Ich halte mich meist an meine Gewohnheiten.«
    »In diesem Fall …«, sie hielt inne, um Luft zu holen, »solltest du dich lieber zu einer Ausnahme entschließen.«
    Grant betrachtete Gennie genau. »Du bist eine merkwürdige Mischung, Genevieve. In einem Augenblick gibst du die erfahrene Verführerin und im nächsten die keusche, erschrockene Jungfrau. Du weißt schon, wie man einen Mann fasziniert.«
    Gennie fühlte sich in ihrem Stolz verletzt. »Manche Männer sind leichter zu faszinieren als andere.«
    »Das stimmt.« Grant konnte sich nicht erklären, was in ihm vorging, doch er fühlte sich unbehaglich. »Verdammt will ich sein, wenn ich mich dir noch einmal nähern sollte«, stieß er leise hervor.
    Grants Schritte entfernten sich, und Gennie lauschte ihrem Klang. Dann bückte sie sich nach ihrem Skizzenbuch. Durch einen boshaften Zufall lag Grants Bild zuoberst. Sie schaute hin und zog eine Grimasse. »Du kannst von mir aus sofort verschwinden.«
    Sie schlug das Buch zu, klopfte umständlich ihre Jeans ab und schickte sich an, den Kirchhof mit Würde zu verlassen.
    Zum Teufel damit!
    »Grant!«, rief sie und sprang, so schnell sie konnte, die Stufen zur Straße hinunter. Dann lief sie ihm nach. »Grant, warte!«
    Mit allen Anzeichen von Ungeduld drehte er sich um und blieb stehen. »Was

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