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Bei Tag und bei Nacht

Bei Tag und bei Nacht

Titel: Bei Tag und bei Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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Fallenstellerei hatte sie doch nie etwas übrig gehabt, und eine Romanze mit Grant war das Letzte, was ihr vorschwebte. Sie könnte ihm auf halbem Weg für eine Freundschaft entgegenkommen – eine sehr vorsichtige Freundschaft –, doch das wäre schon alles.
    Zum Essen hatte sie ihn nur eingeladen, um sich zu revanchieren. Außerdem konnte man sich mit Grant gut unterhalten, trotz seiner spitzen Zunge. Sie würde schon aufpassen, dass sie nicht am Schluss in seinen Armen landete. Wenn es tatsächlich irgendwo in ihrem Inneren ein Körnchen Sehnsucht gäbe, das nach einer Wiederholung der Zärtlichkeiten auf dem Kirchhof verlangte, so könnte ihr normaler Menschenverstand sich mühelos dagegen behaupten. Grant Campbell war nicht nur durch und durch unerfreulich, er war einfach zu kompliziert. Gennie hatte in dieser Hinsicht mit sich selbst genug zu tun.
    Entschlossen ergriff sie die Tüte mit der Holzkohle und den Anzündern und ging nach draußen, um den Grill vorzubereiten. Wie ruhig es hier ist, stellte sie fest. Grants Ankunft würde nicht zu überhören sein.
    Jetzt war die beste Tageszeit für eine Bootsfahrt. Die Schatten wurden länger, und die Hitze des Tages flaute ab. Das Licht war zu dieser Stunde weich und wirkte beruhigend. Sie konnte deutlich das Schwappen des Wassers gegen den Steg vernehmen und das Rascheln und Zirpen der Insekten im Gras hören. Von Ferne näherte sich Motorengeräusch.
    Gennie schrak auf und hätte beinahe die Tüte fallen lassen. Ernüchtert machte sie sich daran, die Kohle aufzuschichten. Das ist also die kühle, kultivierte Genevieve Grandeau, dachte sie und verzog das Gesicht, ein anerkanntes Mitglied der künstlerischen Welt und der auserlesenen Gesellschaft von New Orleans. Weil ein grober, unhöflicher Mann zum Abendessen zu ihr kommt, verliert sie fast die Nerven. Wie tief man doch sinken kann! Trotzdem lief sie zum Steg, um Grant dort zu erwarten.
    Er nahm die Kurve mit so viel Tempo, dass das Wasser hoch aufsprühte. Gennie reckte sich auf ihre Zehenspitzen und winkte ihm lachend zu. Erst jetzt gestand sie sich ein, wie sehr sie sich vor einem einsamen Abend gefürchtet hatte und doch niemanden anderes um sich haben mochte. Allerdings war ziemlich sicher, dass Grant sie wütend machen würde, noch ehe die Nacht anbrach. Aber das schreckte sie überhaupt nicht.
    Grant drosselte die Maschine zu leisem Blubbern und lenkte das Boot an den Steg. Als die Geräusche des Motors ganz erstarben, legte sich die wohltuende Ruhe wieder über Wasser, Gras und Landschaft.
    »Wann nimmst du mich einmal mit?«, erkundigte sich Gennie, als Grant ihr die Leine zuwarf.
    Er sprang leichtfüßig auf den Pier und beobachtete, wie Gennie geschickt das Tau festmachte. »Wollte ich das denn?«
    »Vielleicht bisher noch nicht, aber jetzt willst du es.« Gennie richtete sich auf und wischte ihre Hände an den Jeans ab. »Ich habe mir vorgenommen, für die Bucht hier ein Ruderboot zu mieten. Aber ich möchte viel lieber auf das Meer hinausfahren.«
    »Ein Ruderboot?« Grant schmunzelte und stellte sich vor, wie Gennie sich abmühen würde.
    »Schließlich bin ich an einem Fluss aufgewachsen«, erinnerte sie ihn. »Seefahrt liegt mir im Blut.«
    »Tatsächlich?« Grant nahm ihre Hand und drehte die Innenfläche nach oben, um sie genau zu betrachten. Weich, glatt und kräftig, stellte er fest. »Sieht nicht aus, als ob schon viele Toppsegel damit hochgehievt wurden.«
    »Ich habe mein Teil getan, keine Sorge.« Ohne besonderen Grund und wie selbstverständlich verschränkten sich ihre Finger mit Grants. »In meiner Familie hat es immer Seefahrer gegeben. Mein Ururgroßvater war ein … Freibeuter.«
    »Also ein Pirat.« Interessiert fing Grant eine von Gennies wehenden Locken und hielt sie fest. »Ich habe den Eindruck, dass dir daran mehr gelegen ist als an den Grafen und Herzögen, die in deinem Stammbaum herumschwirren.«
    »Aber ja! Fast jeder findet einen Adligen irgendwo in seiner Ahnenreihe, wenn er sich Mühe gibt. Und mein Vorfahr ist ein sehr guter Seeräuber gewesen.«
    »Gutherzig?«
    »Erfolgreich«, verbesserte sie mit schalkhaftem Lächeln. »Er war schon fast sechzig, als er sich in New Orleans zur Ruhe setzte. Meine Großmutter lebt noch heute in dem Haus, das er damals gebaut hat.«
    »Von Geld, das er unglücklichen Kaufleuten abnahm«, vollendete Grant lachend.
    »Das Meer kennt keine Gesetze«, meinte Gennie und zuckte mit den Schultern. »Man nützt seine Chance. Vielleicht

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