Bei Tag und bei Nacht
Finsternis.
Atemlos, benommen und leer blieb Grant liegen und vergrub sein Gesicht in Gennies Haar. Es regnete noch immer, aber weit weniger heftig. Der Sturm war vorüber. Er spürte, wie Gennies Herz unter ihm klopfte und wie sie zitterte. Er schloss die Augen und versuchte genug Kraft zu sammeln, um Klarheit zu bekommen.
»Gütiger Himmel!« Seine Stimme war rau. Jede Entschuldigung würde sinnlos sein. »Warum hast du mir das nicht gesagt?«, murmelte er, als er sich von ihr rollte und sich mit dem Rücken auf das nasse Gras legte. »Verdammt, Gennie, warum hast du mir das nicht gesagt?«
Gennie hielt die Augen geschlossen, sodass der Regen auf ihre Glieder, ihr Gesicht und ihren Körper fiel. Fühlte man sich immer so danach? fragte sie sich verwundert. So matt, so geschwächt, während ihre Haut noch immer da zu glühen schien, wo Grant sie berührt hatte. Es gab kein letztes Geheimnis mehr, aber auch das Bedürfnis danach war vergangen. Und doch. Grants Frage, die sich so deutlich wie ein Vorwurf anhörte, schmerzte mehr als der Verlust ihrer Unschuld. Sie schwieg.
»Gennie, du hast mich glauben lassen, dass du …«
»Was?«, fragte sie und öffnete die Augen. Die Wolken zogen immer noch über den dunklen Himmel, aber es blitzte nicht mehr.
Grant stieß eine Verwünschung aus und fuhr sich mit der Hand durch das wirre Haar. »Gennie, du hättest mir sagen sollen, dass du noch nie mit einem Mann zusammen warst.« Wie war es ihr möglich gewesen, unberührt zu bleiben? Es war unglaublich. Er war der erste Mann für Gennie … Der Einzige!
Gennie wünschte, Grant würde gehen oder sie fände die Kraft aufzustehen und ihn alleinzulassen. »Es ging nur mich etwas an.«
Grant richtete sich auf und beugte sich über sie. Seine dunklen Augen blitzten ärgerlich. Als sie sich ihm entziehen wollte, hielt er sie fest. »Ich bin nicht sehr zartfühlend«, sagte er und rang offensichtlich um Fassung. »Aber trotzdem hätte ich alles getan, um dir mehr zu geben.« Als Gennie ihn nur anstarrte, legte er seine Stirn gegen ihre. »Gennie …«
Ihre Zweifel und alle Furcht schmolzen beim Klang dieses Wortes dahin. »Ich wollte keine Zärtlichkeit haben – vorhin«, wisperte sie und nahm sein Gesicht zwischen ihr Hände. »Aber jetzt …« Sie lächelte und bemerkte, wie seine Züge sich glätteten.
Grant küsste sie weich. Dann stand er auf und zog Gennie mit sich hoch. Sie lachte über das Gefühl der Schwerelosigkeit. »Was wirst du jetzt tun?«
»Ich bringe dich ins Haus, damit du wieder warm und trocken wirst und wir uns wieder lieben können – vielleicht nicht in dieser Reihenfolge.«
Gennie schlang die Arme um seinen Hals. »Deine Vorschläge beginnen mir zu gefallen. Was geschieht mit unseren Sachen?«
»Was davon noch brauchbar ist, sammeln wir später ein.« Mit dem Fuß stieß er die Tür zum Leuchtturm auf. »Wir werden sie für eine Weile nicht brauchen.«
»Auch diese Idee ist nicht schlecht.« Sie küsste ihn leicht auf den Hals. »Willst du mich tatsächlich all die vielen Stufen hinauftragen?«
»Ja.«
Gennie warf einen abschätzenden Blick auf die Wendeltreppe und hielt sich fester. »Ich möchte nur bemerken, dass es nicht besonders romantisch wäre, wenn du stolpern würdest und mich fallen ließest.«
»Das Weib beschmutzt meine Männlichkeit mit ihrem Zweifel.«
»Nur deine Balance«, verbesserte sie, als er sich anschickte, den Weg nach oben anzutreten. Gennie zitterte. Sie war nass und fror, aber plötzlich lachte sie hell auf. »Was glaubst du, wie unsere verschiedenen Kleidungsstücke auf jemanden wirken, der zufällig vorbeikommt?«
»Der Eindruck würde der Wahrheit entsprechen.« Nach kurzem Überlegen setzte er hinzu: »Außerdem dürfte ihr Anblick jeden zurückschrecken, der hier eindringen will. Daran hätte ich schon früher denken sollen. Das ist viel besser als ein Schild mit ›bissiger Hund‹.«
Gennie seufzte erleichtert, als sie den Absatz erreicht hatten.
»Du bist hoffnungslos. Jeder könnte denken, dass du Clark Kent bist.«
Grant blieb an der Badezimmerschwelle stehen und schaute sie verständnislos an. »Noch mal, bitte.«
»Du weißt schon … eine mysteriöse Identität verheimlichen. Obwohl du alles andere bist als weichherzig.« Sie strich ihm eine feuchte Strähne aus der Stirn. »Du siehst diesen Leuchtturm doch wie die Festung der Einsamkeit.«
Grant lachte und küsste sie mit Nachdruck. »Du überraschst mich immer wieder, Genevieve. Ich glaube,
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