Bei Tag und bei Nacht
Eigenschaften ausgesucht. Justin der Spieler – beherrscht und geheimnisvoll; Diana – gefühlvoll und verschlossen; Shelby – freimütig, klug und absolut ehrlich. Sie waren schon alles in allem eine faszinierende Gruppe.
Gennie brauchte keine große Überredungskunst, um sie alle für ein Familienbild zusammenzubekommen. Obwohl sie sofort begeistert zustimmten, hatte Gennie ihre liebe Not, sie zum Stillhalten zu bringen. Im Thronsaal wollte Gennie sie zeichnen, um den väterlichen Stuhl herum sitzend und dahinter stehend. Die Diskussion war äußerst lebhaft, wer was tun sollte und wo.
»Das Baby halte ich«, erklärte Daniel und schaute sich kampfbereit um, ob etwa jemand etwas dagegen einzuwenden hätte. »Und im nächsten Jahr halte ich zwei«, sagte er zu Gennie und lächelte zuerst in Dianas Richtung, dann in Shelbys. »Oder drei.«
»Mutter setzt sich neben dich.« Alan rückte ihr den Stuhl zurecht. »Deine Handarbeit musst du auch halten, sonst fehlt etwas.«
»Und die Frauen sitzen zu Füßen ihrer Ehemänner«, meinte Caine schmunzelnd, »so wie es sich gehört.«
Das fand Zustimmung bei den Männern, erregte aber Protest bei den Frauen.
»Ich denke«, sagte Gennie ruhig, »wir mischen das alles etwas durcheinander.« Kurz und bündig und mit der Energie eines Feldwebels arrangierte sie alle Beteiligten so, wie sie es sich vorgestellt hatte.
»Alan hier«, sie platzierte ihn zwischen seinen Eltern, »und Shelby daneben. Caine sitzt auf dem Teppich.« Das war nicht ganz einfach, aber schließlich gehorchte er und rief lachend: »Diana muss auf meinen Schoß kommen.« Das war schnell geschehen. Gennie trat einen Schritt zurück, neigte den Kopf zur Seite und war zufrieden. »Justin und Rena dann links. Grant, du …«
»Ich werde nicht …«, begann er.
»Keine Widerrede, mein Junge!« Daniels Stimme übertönte ihn mühelos. Zu seinem Enkel gebeugt, meinte er: »Natürlich wieder ein Campbell, der Schwierigkeiten macht.«
Grollend nahm Grant den angewiesenen Platz hinter Daniels Stuhl ein und beugte sich zu dessen Ohr hinunter: »Großartig – ein Campbell erscheint auf dem Familienporträt der MacGregors.«
»Zwei Campbells!«, ergänzte Shelby. »Und wie will Gennie uns malen und gleichzeitig auch hier sitzen?«
Erstaunt sah Gennie zu Shelby hin, doch auch dafür fand Daniel eine Lösung, wie er lautstark verkündete. »Sie zeichnet sich mit hinein. Sie ist ein kluges Mädchen.«
»Gut«, stimmte Gennie zu und freute sich, dass man sie in die Familienszene einbezog. »Jetzt entspannt euch alle. Es dauert nicht zu lange. Und es ist ja nicht wie bei einem Foto, ihr müsst also nicht unbedingt still sitzen.«
Im nächsten Moment stand sie schon vor ihrer transportablen Staffelei, die sie mitgebracht hatte. »Eine farbenprächtige Gruppe«, entschied sie, während sie eine Pastellkohle aus dem Farbkasten wählte. »Ich muss es irgendwann einmal in Öl machen.«
»Ja, das ist gut!« Daniel war begeistert. »Für die Galerie, nicht wahr, Anna? Und schön groß!« Zufrieden kitzelte er seinen Enkel unter dem winzigen Kinn.
»Wolltest du schon immer malen, Gennie?«, fragte Anne MacGregor und schob die Nadel durch ihren Stickrahmen.
»Ich glaube schon, jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, dass es anders gewesen ist.«
»Caine wollte Arzt werden«, meinte Serena mit unschuldigem Gesicht. »Zumindest hat er es immer den kleinen Mädchen erzählt.«
»Es war ein natürliches Bestreben«, verteidigte sich Caine und blickte zu seiner Mutter auf.
»Grant suchte einen anderen Zugang zum späteren Beruf«, erinnerte sich Shelby. »Ich glaube, er war vierzehn, als er Dee Dee O’Brian dazu überredete, ihm Modell zu stehen – nackt.«
»Das geschah aus rein künstlerischen Motiven«, konterte Grant, als Gennie ihn mit hochgezogenen Augenbrauen ansah. »Außerdem war ich fünfzehn.«
»Körperstudien gehören zu jeder Kunstausbildung«, sagte Gennie, während sie zeichnete. »Ich erinnere mich besonders an ein männliches Modell …« Sie brach ab, als sie Grants Reaktion bemerkte. »Dein Stirnrunzeln ist sehr charakteristisch, Grant. Versuch doch, diesen Ausdruck einen Moment beizubehalten.«
»Du malst also auch, Junge?« Daniel war neugierig geworden. Er hatte weder von Grant noch von Shelby bisher erfahren können, womit Grant sich seinen Lebensunterhalt verdiente.
»So hin und wieder.«
»Ein Künstler also?«
»Ich … male nicht«, sagte Grant und lehnte sich gegen Daniels
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