Bei Tag und Nacht
Mutter, ihrer Freundin Gabriella und der Herzogin von Murau wußte niemand etwas Genaueres über sie. Elissa war auf der Hut, und das wollte sie auch bleiben.
3
Die junge Gräfin machte tatsächlich am nächsten Tag eine Kutschfahrt, aber nicht mit Colonel Kingsland. Statt dessen fuhr sie in General Steiglers edler schwarzer Kalesche durch das malerische Baden, wo sie schließlich in einem ruhigen Gasthaus abstiegen zum Mittagessen.
Der General saß ihr an einem Tisch in der Ecke gegenüber. »Hat Euch das Essen nicht geschmeckt?« fragte Steigler. »Vielleicht wäre Euch etwas anderes lieber?« Er war ein hochgewachsener, schmaler Mann mit herben Zügen und einer spitzen, dünnen Nase. Seine leicht eingesunkenen Augen waren so dunkel, daß sie oft schwarz erschienen. Er hob eine knochige Hand, um die Bedienung zu rufen, aber Elissa fiel ihm in den Arm.
»Nein, ich bitte Euch. Das Essen war köstlich. Es mangelt mir heute nur ein wenig an Appetit.« Sie entschied sich zu einem charmanten Lächeln, um dem Ziel näher zu kommen, das sie sich gesetzt hatte: Steiglers Vertrauen zu gewinnen. Sie mochte Franz Steigler nicht besonders. Seine Berührungen waren zu intim, sein Blick zu kalt und durchdringend.
Aber wenn es je einen Mann gab, der wirklich aussah wie ein Falke, dann war das Steigler.
»Ihr wirkt müde, meine Liebe. Vielleicht kann ich etwas anderes für Euch tun. Der Patron, Herr Weinberg, ist ein Freund von mir. Sicher macht er für Euch gerne einen Ruheplatz zurecht ... im oberen Stock.«
Das war das erste Mal, daß er sich zu einem derart offenen Angebot hinreißen ließ. Er wollte mit ihr ins Bett - ein Gedanke, den sie abstoßend fand. Doch selbst wenn es dazu kommen sollte, würde eine einzige Nacht mit Steigler sicher nicht ausreichen für ihre Zwecke. Sie brauchte Zeit, ihn kennenzulernen, ohne seinen körperlichen Wünschen nachzugeben, mußte ihm ausweichen, ohne ihn ganz zurückzuweisen.
Wie konnte sie herausfinden, ob er der Falke war? Doch die Wahrheit über einen Mann wie Steigler zu erfahren, würde schwierig sein.
»Ich fühle mich recht wohl, General Steigler. Lassen Sie uns doch einfach hier sitzen bleiben und uns eine Weile unterhalten.«
»Unterhalten? Aber worüber denn, meine Liebe?« Diese Bemerkung zeigte, daß er einer Frau keinerlei Interesse zutraute.
»Vielleicht könntet Ihr, als berühmter General und hochgebildeter Militärkommandeur, ein paar meiner Ängste etwas zerstreuen. Wenn man in Blauenhaus wohnt, bekommt man die beunruhigendsten Dinge zu hören.« Sie wandte den Blick ab, in der Hoffnung, irgendwie ängstlich zu wirken.
»Was sind das für Andeutungen, meine Liebe?«
Sie sah sich um, um sicherzugehen, daß niemand in der Nähe war, und beugte sich dann weiter vor. »Erst gestern hörte ich, daß Erzherzog Karl seine Armee vergrößert. Es heißt, er hätte die Absicht, Napoleon entgegenzumarschieren, und jeden Tag könnte der Krieg ausbrechen. Ich hatte gehofft... geglaubt, Österreich verzichte darauf, die Franzosen zu bekämpfen. Es ist doch sicher nur in unserem Interesse, unsere Freundschaft mit General Bonaparte zu erhalten. Schließlich hat er uns schon mehrmals geschlagen. Die vielen Menschenleben, die auf dem Spiel stehen, sind entschieden ein zu hoher Preis.«
Der General lachte leise. Seine grobe Hand schob sich vor und legte sich auf die ihre. Sie unterdrückte den Drang, ihre Finger zurückzuziehen.
»Meine liebe Gräfin! Eine Dame sollte sich nicht über solche Dinge den Kopf zerbrechen. Es ist Sache von Männern wie mir, entsprechende Entscheidungen zu treffen, unsere Frauen zu beschützen . .. und natürlich unser Land.«
»Aber was denkt Ihr darüber, General ? Die Briten wollen uns ja unterstützen, aber die Franzosen ...«
»Ich habe gehört, daß Ihr auch englisches Blut habt. Wie kommt es, daß Ihr dann nicht eine Allianz mit England vorzieht?«
»Bei alledem geht es um das Beste für Österreich. Mein Mann war Österreicher«, setzte sie hinzu. »Und meine Mutter hatte auch österreichisches Blut. Mein Herz war immer hier, General Steigler. Ich bin dankbar, wieder zu Hause zu sein.«
Sie unterhielten sich noch eine Weile, aber der General ließ nicht den geringsten Zweifel an seiner absoluten Loyalität gegenüber seinem Kaiser und der österreichischen Sache aufkommen. Doch immer wieder wanderte sein Blick von der Rundung ihrer Brüste hinüber zur Treppe, die hinaufführte zu den Schlafzimmern über dem Gastraum.
»Ich glaube, Ihr
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