Bei Tag und Nacht
langweilig sein könnte, erstaunte Elissa wirklich. Denn die Gesellschaft des leicht beschwipsten Sir William ermüdete sie maßlos.
Seit ihrer Kindheit hatte sie immer wieder den Geschichten ihres Vaters gelauscht, in denen es um sein glanzvolles Leben in Österreich ging, bevor das Vermögen seiner Familie geschrumpft war. Seine Stimme pflegte vor Erregung zu beben, wenn er von den prächtigen Palästen und exquisiten Bällen erzählte, den Damen und Herren des österreichischen Hofes. Es hatte Zeiten gegeben, da sehnte auch sie sich nach dem unerhörten Reichtum, den er beschrieb, nach dem Luxus, der Schönheit, den Galagarderoben.
Jetzt, wo sie sich mitten in dieser Umgebung wahrhaftig aufhielt, kam es vor, daß sie sich nach dem ruhigen Leben zu Hause sehnte.
Elissa starrte in die Dunkelheit vor der Villa hinaus, dankbar, für kurze Zeit Sir William entkommen zu sein, der sich auf ein Kartenspiel den Herren zugesellt hatte. Sie kümmerte sich nicht weiter um das aus dem Haus dringende Gelächter und wanderte tiefer in den Frieden des Gartens.
Es war still hier, der Mond begann gerade, hinter den Wolken hervorzulugen, und warf einen silbernen Schimmer auf die gewundenen Pfade zwischen den Rosen. Eine Brise bewegte die Luft, kühl, aber nicht allzu kalt.
»Guten Abend, Mylady.«
Sie drehte sich beim Klang der Stimme um, ihr Puls begann zu rasen, denn sie erkannte sofort sein Timbre, auch wenn sie sich verzweifelt wünschte, dem wäre nicht so.
»Guten Abend, Colonel Kingsland.«
Er warf einen Blick auf das dünne Umschlagtuch, das über ihren Schultern lag. »Die anderen bleiben heute abend lieber im Haus. Ist es Euch nicht kalt?«
»Nein, ich finde die Frische recht angenehm. Mir ist es oft eher zu warm, ich . ..« Sie unterbrach sich, als die Erinnerung daran, wie sie nackt unter den warmen Händen und dem heißen, suchenden Mund des Colonels gelegen hatte, plötzlich klar vor ihren Augen stand. Im Schein der Fackeln, die die Gartenpfade erhellten, sah sie, wie sich seine Lippen leicht nach oben wölbten, so als erinnere auch er sich gerade daran.
»Ich denke, daß es ein Vorzug ist, eine hitzige Natur zu haben. Vielleicht ein Zeichen von Temperament?«
Es gelang ihm schon wieder, ihre Fassung zu erschüttern, ihr das Gefühl zu geben, als finge die Welt an zu kippen. »Ich - ich glaube nicht, daß die beiden Dinge etwas miteinander zu tun haben.« Aber vielleicht hatten sie es doch. Ganz sicher war ihr jetzt in der Nähe dieses Schwerenöters heiß, beinah stickig zumute.
»Angesichts unserer früheren Begegnung fürchte ich, Euch widersprechen zu müssen, Mylady.«
Ein Gefühl der Peinlichkeit durchfuhr sie. Hatte er womöglich ihr leises Stöhnen gehört, das sie im Traum von sich gegeben hatte, als er sie küßte? Ihr Rücken wurde steif.
»Wenn Ihr weiterhin darauf besteht, Mylord, jedesmal wenn wir uns treffen, Euer dreistes Benehmen bei unserer ersten Begegnung zu erwähnen, werde ich mit Vergnügen daran denken, Euer abscheuliches Verhalten Sir William und Euren Vorgesetzten gegenüber zu erwähnen.«
Ein großer, dunkel gebräunter Finger glitt über ihre Wange.
»Ich glaube nicht, daß Ihr das tun solltet, Mylady. Euer guter Ruf würde darunter genauso leiden wie der meine. Sollte es Euch allerdings wirklich stören, darüber zu sprechen, werde ich es mir künftig verkneifen.«
Er lächelte entwaffnend. »Das heißt allerdings nicht, daß ich vergesse, wie schön Ihr in jener Nacht wart... und wie weich sich Eure Haut unter meinen Lippen anfühlte, als ich Euch küßte.«
Ihre Wangen färbten sich dunkelrot. »Ihr seid in der Tat unmöglich, Mylord!«
»Und Ihr, Mylady, seid wirklich entzückend!«
Die Erde schien sich wieder zu bewegen. »Ich - ich möchte hineingehen.« Sie wollte sich auf den Weg machen, da ergriff er ihren Arm.
»Sagt, daß Ihr morgen abend mit mir dinieren werdet.«
»Das kann ich nicht.«
»Warum nicht? Ihr habt Zeit gehabt für Botschafter Pettigru. Ihr habt mit General Steigler zu Mittag gegessen. Da muß doch irgendwo einmal Platz in Eurem Terminplan auch für meine Wenigkeit sein?«
Sie schüttelte den Kopf. »Leider nicht.« Elissa wollte sich abwenden und fortgehen, doch er hielt sie erneut zurück.
»Ich verspreche tadelloses Benehmen. Ich werde Euch nicht einmal berühren, wenn es das ist, wovor Ihr Angst habt.«
Mit einem Ruck hob sie den Kopf. Ihr Blick traf den seinen: »Ich habe keine Angst vor Euch, Colonel!«
»Ach, wirklich?«
»Nicht
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