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Bei Tag und Nacht

Titel: Bei Tag und Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kat Martin
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darüber von mir laut wird, falls ich von Euch keine Antwort auf diesen Brief erhalten sollte.
    Ich schließe mein Schreiben mit den besten Wünschen für Eure Gesundheit und für eine positive Aufnahme meiner Mitteilung.
    In größter Hochachtung Lady Elissa Tauber
    Sie las den Brief noch einmal durch, staubte etwas Sand darüber, faltete ihn, als er trocken war, zusammen und versiegelte ihn. Ein paar Minuten später holte Jamison ihre Post ab und brachte sie dem Kurier nach England.
    Hatte sie das Richtige getan? Sicher konnte sie natürlich nicht sein, aber die Zukunft war so verschwommen und das Leben selbst gerade in diesen Zeiten so wertvoll und ungewiß, daß sie sich dazu verpflichtet gefühlt hatte.
    Nach einer Weile stellte sie die Schreibschatulle beiseite und stand auf. Sobald Jamison zurückkam, würde er sie zu ihrem Bruder begleiten. Die Sorge um Peter, Adrian und Jamison wich nie ganz aus ihrem Hinterkopf. Noch ein letztes Mal dachte sie an Sheffield und hoffte, er möge den Brief auch bekommen. Gerne sähe sie sein Gesicht, wenn er ihn las ...

26
    Am Morgen des 20. Mai begann die Schlacht. Napoleon überquerte vier Meilen südöstlich der Stadt die Donau mit Hilfe einer Pontonbrücke und ließ seine Leute über das Marchfeld ausschwärmen. Die Vorhut des Erzherzogs wurde überrannt und die beiden kleinen Dörfer Aspern und Essling besetzt.
    Jamison hatte die Frauen und Kinder hinter die Linien gebracht; aber da im Verlauf des Vormittags immer mehr von der schrecklichen Menge der Opfer bekannt wurde, ließen Elissa und Nina die Kleinen in der Obhut einer der älteren Frauen zurück und machten sich auf den Weg zum Lazarettfeld.
    Kanonendonner hallte in der Ferne. Musketenschüsse krachten immer wieder, und dichte, schwarze Rauchwolken hingen am Himmel. Als Elissa über einen kleinen Hügel zu dem Areal kam, wo die Verwundeten lagen, blieb sie einen Augenblick stehen, um den grausigen Anblick zu verdauen. Verwundete, die einst prächtigen Uniformen mit Blut durchtränkt, lagen vor ihr, so weit das Auge reichte. Das Ächzen der Verletzten verband sich mit den Schmerzensschreien, die aus dem Zelt des Chirurgen gellten. Außen an der Zeltwand war ein Stoß von abgetrennten Gliedmaßen fast so hoch aufgestapelt wie die Wand. Fliegen hatten sich in Schwärmen darüber hergemacht, und der Wind trug den Gestank von Blut herüber.
    »O mein Gott!« Sie starrte auf diesen Ozean von Leiden, und es wurde ihr fast schlecht. In ihrer Brust tobte es derartig, daß sie kaum noch atmen konnte. Nina griff nach ihrer Hand, und Elissa spürte, wie sie zitterte.
    »Ich hatte gehofft, nie wieder so etwas sehen zu müssen. Warum - warum gibt es überhaupt Krieg?«
    »Das müssen ja Hunderte sein .. .Tausende! Allmächtiger, es sieht aus wie eine Szene aus der Hölle.«
    »Das ist es für die armen Kerle bestimmt.«
    Elissa holte tief Luft, verdrängte die Übelkeit und das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen.
    »Wir müssen ihnen helfen«, stammelte sie, doch ihre Angst wurde immer größer. Ob Adrian auch hier lag? Waren Jamison und Peter irgendwo unter den Verletzten oder Sterbenden?
    Als sie mit unsicheren Schritten näher zogen, dachte Elissa unwillkürlich an die Schlacht, aus der sie kamen, fragte sich, ob der Falke auch in diesem bösen Spiel mitmischte. Seit Tagen hatte sie nicht mehr an Becker gedacht. Obwohl ihre Unfähigkeit, den Verräter zu finden, ihr Gewissen belastete, wußte sie, daß Adrian noch nicht aufgegeben hatte; und der war ohnehin der einzige, der ihm das Handwerk zu legen vermochte.
    Elissa schaute hinab auf die Männer, an denen sie vorüber-ging, vernahm ihr mitleiderregendes Stöhnen, und ihr Mund wurde trocken. Sie hörte aus dem Zelt die Stimmen der Chirurgen, hörte Sägeblätter Fleisch und Knochen durchtrennen, hörte einen gräßlichen markerschütternden Schrei, und die Übelkeit stieg wieder in ihr auf.
    »Ich - ich weiß nicht, ob ich das schaffe.«
    Nina blieb stehen und drehte sich um. Im hellen Licht der Sonne wirkten ihre Züge angespannt und streng. Ihr Mund war nur noch ein schmaler Strich. »Die Männer müssen kämpfen, und wir müssen ihnen helfen. Es gibt keine Wahl.«
    Elissa betrachtete die hilflosen Opfer auf der Erde, alte, junge, einige dunkelhaarig, andere blond. Alle litten Schmerzen und mußten versorgt werden. Sie holte tief Luft und nickte. »Du hast natürlich recht. Gehen wir!«
    Glücklicherweise hielt die Ordonnanz - ein junger Mann mit hohlen Wangen - sie

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