Bei Tag und Nacht
seinen großen Schwarzen vorangehen bis zur Spitze der Gruppe, wo er unter einer Buche stehenblieb und sein Gewehr nachlud. Er zog auch eine Pistole aus der Satteltasche, prüfte sie ebenfalls und steckte sie sich in den Hosenbund.
Der Hengst begann unter ihm zu tänzeln, die Ohren steil aufgerichtet, die Nüstern gebläht. »Immer langsam, Junge!« Er klopfte ihm mit einer Hand den Hals, um ihn zu beruhigen, und sah sich suchend um. Steigler war nirgends zu erblicken.
Die Männer flüsterten, ihre Sättel knarrten, die Hufe der Rösser stampften. Ein Musketenschuß ertönte plötzlich, hallte im Tal wider, und Adrian stieß dem Hengst die Absätze in die Flanken. Er drängte das Pferd hastig den Berg hinunter.
Ein zweiter Schuß ertönte aus der zweiten Muskete, die der Diener des Generals getragen hatte, und Adrian lenkte sein Tier zu einem niedrigen Gebüsch, wo es rutschend zum Stehen kam, gerade als Steigler aufsaß.
»Mach schneller mit der Muskete, du Narr!« brüllte er den Mann an, der hastig an der ersten Waffe herumhantierte.
»Wo ist er?« schrie Adrian, und Steigler warf den Kopf in den Nacken.
»Der größte verdammte Eber meines Lebens! Hat einen Schuß in die Lunge und nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Er ist wirklich eine Trophäe, Colonel - ein Prachtstück - und ich habe die Absicht, ihn zur Strecke zu bringen.«
»In welche Richtung ist er gerannt?«
»Dorthin!« Der General zeigte auf den Pfad in Richtung Lager, und Adrian erstarrte das Blut in den Adern. Erneut stieß er dem Pferd die Absätze in die Flanken und trieb es, tief über den Hals gebeugt, hügelaufwärts. Die Trophäe des Generals kümmerte ihn wenig. Alles war ihm egal, außer den nichtsahnenden Frauen beim Picknick.
»Der Eber gehört mir, Colonel, habt Ihr gehört!« brüllte der General hinter ihm her.
Adrian antwortete nicht, trieb den Hengst nur zur Eile an, so daß er mit höchster Geschwindigkeit dahingaloppierte. Erde und Tannennadeln flogen von den Hufen auf, Zweige klatschten ihm ins Gesicht und drohten manchmal, ihn aus dem Sattel zu heben; doch er raste weiter und hoffte nur, das verwundete Tier wäre irgendwann von dem Pfad zum Lager abgebogen. Doch eine Blutspur vor ihm bewies das Gegenteil.
Sein Herz raste im Rhythmus zu den donnernden Hufschlägen seines Pferdes. Vor Angst war ihm die Brust eng, und sein Atem ging hart und rauh. Der letzte Hang kam näher. Er überwand ihn, spähte hinab zur Lichtung, und seine Ängste wurden sofort bestätigt.
Trotz des Donners von Minotauros’ Hufen und ihres gemeinsamen Keuchens hörte er die schrillen Hilferufe der Frauen. Unten auf dem Weg konnte er sie, mit den Bediensteten zusammengedrängt, ausmachen. Auch den riesigen, schwarzen Eber, dessen scharfe Hauer in der Sonne glänzten, bekam er zu sehen. Schaumiges Blut sickerte aus dem Loch, das ihm die Kugel in die Brust gerissen hatte.
Adrians Blick wanderte über die Frauen, als er unbewußt nach der Gräfin suchte. Schließlich entdeckte er sie, und ihm wurde seine Brust so eng, daß er kaum noch zu atmen vermochte. Sie stand abseits von den anderen, dem Eber gegenüber, mit dem Rücken vor einem Haufen von Felsbrocken, die schlanken Schultern an einen Baumstamm gedrückt. In ihren zitternden Händen hielt sie einen trockenen Kiefernast, und eine zweite Dame, Lady Ellen Hargrave, die Tochter eines Diplomaten, lag weinend auf dem Boden vor ihr.
Colonel Kingslands Herz zog sich zusammen. Herr im Himmel, das Tier wollte sie umbringen! Er ritt das Pferd bis zur Grenze seiner Belastbarkeit so nah an den Eber heran, wie er es wagte, zog die Zügel dann heftig zurück und sprang aus dem Sattel, bevor Minotauros zum Stehen gekommen war. Angesichts der vielen Leute in der Nähe wagte er nicht zu schießen. Selbst wenn er das Tier tötete, konnte die Kugel von einem Knochen abprallen und einen Menschen treffen. Er warf die nutzlose Muskete weg und riß die Pistole aus dem Hosenbund, während er über die Lichtung preschte.
»Colonel« kreischte eine der Frauen. »Gott sei Dank, daß Ihr gekommen seid!« Ein paar von ihnen fingen an zu weinen, aber Adrian beachtete sie nicht weiter.
»Ich möchte, daß die Damen möglichst ruhig bleiben. Bitte zieht Euch geräuschlos zurück.«
»Aber die Gräfin!«
»Um die kümmere ich mich! Tut, was ich gesagt habe.« Sie begannen, langsam das Feld zu räumen, aber der Eber sah die Bewegung aus dem Augenwinkel. Er stampfte angriffslustig auf den Boden, so daß Erdklumpen
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