Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
Pfingstmontag schon einen Ausflug mit
irgendeinem ihrer diversen Bonzenvereine geplant. Den freien Montag werden sie mir
demnach nicht stehlen.
Am Sonntag heißt es also in der
Villa antreten. Natürlich ist das kalt-warme Büfett ganz vorzüglich, das die Haushälterin
meiner Eltern gezaubert hat. Meine Mutter hat ja auch höchstselbst die Speisenfolge
festgelegt. Davon abgesehen, entwickelt sich der Brunch dann allerdings zu einer
mittleren Katastrophe. Der süße Frank hat offenbar meine gesamte Familie kontaktiert,
um sie über meine Gewohnheiten auszufragen.
»Kind, wo
hast du dich denn da wieder hineinmanövriert?«, fragt Paps, nachdem wir den ersten
Schluck Champagner getrunken haben.
Meine Juristengeschwister
nicken vielsagend. Mutter schüttelt geringschätzig den Kopf, Rebellenkat hingegen
verschränkt die Arme, eine Geste, mit der sie mir ihre emotionale Unterstützung
signalisiert.
»Keine Sorge,
die können dir ja nichts beweisen«, sagt A-Mi und richtet die Scheibe Lachs auf
ihrem Brötchen fein säuberlich mit dem Messer aus, bevor sie einen hauchdünnen Zwiebelring
darauf legt.
»Was heißt
denn hier beweisen? Ich habe gar nichts getan!« Unglaublich, aber allein mit einem
Satz hat sie mich in die Defensive bugsiert.
Rouwen wischt
sich einen Rest Beluga-Kaviar aus dem Mundwinkel und grinst. Eines der winzigen
Fischeier klebt zwischen seinen Schneidezähnen. Er hat etwas Erschreckendes. »Natürlich
hast du nichts getan … oder vielleicht doch?«
Sie kichern.
Ist das
zu glauben?
Sie kichern über meine Lage!
»Vielleicht
eine Persönlichkeitsstörung«, sagt mein Vater, der Herzchirurg, und verzieht dabei
keine Miene.
»Du machst
manchmal Dinge, von denen du hinterher nichts mehr weißt«, unkt meine Mutter. Kat
runzelt nur die Stirn und schweigt.
Ich steige
darauf ein. »Was soll das heißen? Ich mache Dinge, von denen ich hinterher nichts
mehr weiß?«
»Du schläfst
mit irgendwelchen Kerlen und kannst dich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern,
wie sie in dein Bett gekommen sind.« Anna Maria beißt in ihr Brötchen und sieht
dabei aus wie eine Hexe. Ihre roten Haare kräuseln sich in wilden Locken um ihr
Gesicht und unterstreichen den Eindruck.
»Oder du
wachst morgens im Bett eines Kerls auf und hast keine Ahnung, wie du hineingeraten
bist.« Rouwens Grinsen wirkt ausgesprochen geringschätzig.
Kat schnaubt.
»Hört doch auf!«
»Das ist
doch alles längst Geschichte«, schreie ich, »und es kam auch nur einmal vor.«
Vater hebt
den Zeige- und den Mittelfinger. » Je einmal.«
»Und dann
die Sache mit Tante Edelgunda und Onkel Hubertus.« Mutter schiebt sich ein Löffelchen
ihres Spezialmüslis in den Mund.
Ich stöhne.
Diese Geschichte hängt mir an, seit ich 20 war. Wahrscheinlich wird sie auf jedem
verdammten Familienfest aufgewärmt, bis ich alt und grau bin und alle überlebt habe,
die sie kennen. Oder selbst in der Kiste liege und mir nichts mehr daraus mache,
dass auch Generationen nach meinem Tode noch darüber lachen …
»Mann, damals
ging es mir echt nicht gut.«
»Kein Wunder«,
zischt meine Juristenschwester. Ihr steht die Missbilligung ins Gesicht geschrieben.
Jedes Mal, wenn sie mich so ansieht, möchte ich ihr einen Zettel an die Stirn pappen
mit der Aufschrift ›Tu nicht so erwachsen‹.
»Mann, A-Mi,
du und Rouwen seid die einzigen Jurastudenten, die es jemals gab, die nie an einer
Semesterabschlussfete teilgenommen haben. Ihr könnt gar nicht mitreden. Einfach
mal Fresse halten .« Ganz bewusst benutze ich die Ausdrucksweise und den Tonfall
meines Lieblingskabarettisten Dieter Nuhr. Meine Eltern und die Juristen in der
Familie können seinem Humor nichts abgewinnen. Kat hingegen zwinkert mir zu.
Rouwen lacht
trocken. »Klar, jetzt kommt die Leier wieder. Schwesterlein, man kann auch völlig
ohne hemmungslose Besäufnisse durchs Studium gehen … Wenn man es denn überhaupt
zu Ende bringt.«
»Jetzt lasst
sie aber in Frieden. Sie war an dem Morgen wirklich nicht ganz da, und eigentlich
hätte auch einer von uns ihre Aufgabe übernehmen können.«
Dankbar
nicke ich meiner einzigen Freundin in diesem Hyänenrudel zu. Kat war damals erst
17 und hatte noch keinen Führerschein. Deshalb konnte sie mich nicht retten. Wenn
man es genau betrachtet, hätten meine Eltern sie vermutlich ohnehin nicht an meiner
Stelle fahren lassen. Sie vertreten selbstverständlich den Standpunkt ›Wer lange
feiert, kann auch morgens früh aufstehen‹. Eine Logik erkenne
Weitere Kostenlose Bücher