Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
ich dahinter zwar
nicht, aber ich musste ja akzeptieren, was sie verlangten.
Es war seit
Tagen abgesprochen, dass ich Tante Edelgunda in Vertretung der Familie zum 70. Geburtstag
gratulieren sollte. Dazu musste ich nach Sankt Wendel fahren. An jenem Tag war ich
ein körperliches Wrack. Mein Kopf dröhnte, und es pulsierte eine nicht unbeträchtliche
Menge Alkohol durch meine Blutbahn. Ja, im Nachhinein betrachtet waren meine Eltern
geradezu leichtsinnig, mich fahren zu lassen. Aber wie dem auch sei, ich kutschierte
durch die Lande, mein Kopf hämmerte trotz Schmerzmitteln, das Geschenk lag auf dem
Beifahrersitz. Ich wunderte mich noch, warum nicht wenigstens ein Blümchen mit dabei
war, wo wir doch alle wussten, wie sehr Tante Edelgunda Blumen liebte. Überhaupt
verstand ich nicht, warum ich ihr dieses Geschenk bringen sollte – wenige Tage später
sollte doch der große Empfang stattfinden. Vermutlich war alles reine Schikane.
Vielleicht, um mir klarzumachen, welch inakzeptablem Lebenswandel ich frönte. Nach
mehreren Anläufen fand ich endlich den Weg durch die Stadt, und als ich unter der
Eisenbahnbrücke durchgefahren war, wusste ich wieder, wie ich an Tantchens Haus
gelangte.
Langer Rede
kurzer Sinn – ich wollte ihr zum Geburtstag gratulieren, dabei hatte sie gar nicht
Geburtstag, sondern ihr Bruder, Onkel Hubertus, wohnhaft in Saarlouis.
»Mann, warst
du damals sauer, als du nach Hause gekommen bist.« Rouwen lacht hämisch.
Ich lege
mein Besteck aus der Hand und schiebe meinen Stuhl zurück. »Wisst ihr, das hier
muss ich mir echt nicht geben. Ich gehe!«
Vater legt
eine Hand auf meine. Er lächelt mich mit diesem weisen Ausdruck an, mit dem er seine
Patienten tröstet, wenn er ihnen schwierige Operationen ankündigt. »Wir machen doch
nur Spaß, Kind.«
»Pff, schöner
Spaß«, murrt Kat. Ich liebe sie heiß und innig, meine Rebellenschwester.
Mutter will
wie immer alles mit Essen gutmachen. »Nein, wirklich, nun bleib doch hier. Sieh
mal, ich habe dein Lieblingsgelee bestellt.« Sie hält mir das teure Quittengelee
›nach alter Tradition‹ unter die Nase. Anscheinend ist ihr entgangen, dass Selbstgemachtes
der bessere Tröster ist.
Ich seufze.
»Aber um noch mal auf den Kommissar zurückzukommen: Seid ihr etwa auch alle befragt
worden?« Ich wende mich an Anna Maria. »Ist das überhaupt üblich? Es waren doch
nur Unfälle.«
»Ich hatte
den Eindruck, dass er entweder völlig verzweifelt war, weil er sonst keine Spur
hatte … oder er interessiert sich für dich, Schwesterlein!«
»Was irgendwie
ja auf das Gleiche herauskommt«, ergänzt Rouwen. Sein Seitenhieb kann mich nicht
schocken, denn die zweite Möglichkeit, die meine Schwester da angedeutet hat, wärmt
mir das Herz. Frank Kraus interessiert sich vielleicht für mich!
Die Woche verlief gut bisher. Ich
blicke auf ein paar Tage des völligen Friedens und zahlreicher erfolgreicher Abschlüsse
zurück. Ich freue mich schon darauf, dass ich später meine Manolos zu Susas Schuhdoktor
bringen werde, um sie reparieren zu lassen – falls das denn möglich ist.
»Heut alles
gut bei dir?«, höre ich eine sanfte Stimme und sehe hoch. Tatsächlich hatte ich
bis zur Mittagspause mein Soll schon erfüllt, und in der letzten Stunde lief es
genauso gut weiter. Gerade habe ich einen Gang zurückgeschaltet, um ein wenig zu
träumen. Frank Kraus hat sich diese Woche noch nicht gemeldet, aber ich sage mir,
dass das ein gutes Zeichen ist. Ich will diese Geschichte ganz langsam angehen.
Vielleicht rufe ich ihn heute Abend an. Mal nach dem Stand der Ermittlungen fragen.
»Ja, Maurice,
heute läuft es sehr gut.«
»Ich freu
mich für dich.«
»Danke.«
Ich wähle die nächste Nummer. Brunhilde Schnatterbeck. Schon nach ihren ersten Sätzen
seufze ich. Nomen est Omen. Die Schnatterbeck lässt mich kaum zu Worte kommen und
textet mich stattdessen ungeniert in breitestem Saarländisch Platt zu. Ich schiele
auf ihre Adresse – sie wohnt in Riegelsberg, in der Nähe der Hauptstadt und spricht
demzufolge einen etwas anderen Dialekt als wir hier.
»Ach, wisse
Se, mei Enkelin heißt aach Lucinda. So ein liewes Ding. Aber stelle Se sich nur
vor, das is mit 16 schon schwanger. Was sagen Se dazu?«
»Vielleicht
wäre dann unsere Zeitschrift ›Ratlose junge Eltern‹ etwas für Sie? Die könnten Sie
im Abo …«
»Ach was,
ich unterstütze das Kind nit ach noch. Aber mei Tochter, das is schuld an allem.
Es hätt dem Kind genauer erklären müssen, wie das
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