Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
ich mich auf meinen
Platz, nicke meiner Kollegin und Freundin Lena zu, und wähle meine erste Nummer.
Anscheinend
muss man selbst nur gute Laune mitbringen, dann klappt’s auch mit den Kunden. Ich
habe einen richtigen Lauf. Einen so guten, dass ich in meiner Arbeit versinke. Sie
werden sich vielleicht fragen, wie man im Verkaufen von Zeitungen, Wein, Spielsachen
und Sextoys versinken kann – und dann auch noch am Telefon, aber das geht wirklich.
Ich scherze mit jungen Müttern, deren Babys mir vergnügt ins Ohr krähen, flirte
unverbindlich mit Männern, die sich die interessantesten Gegenstände aussuchen –
natürlich nur mit jenen, die weit weg wohnen – und höre zwischendurch den Lebensgeschichten
älterer Menschen zu. Dies ist es, was ich an meiner Arbeit liebe: mit Menschen Kontakt
zu haben. Viele Kunden sind wirklich nett, manche interessieren sich für die Person
hinter der Telefonstimme, und heute sind es eben diese Kunden, mit denen ich zu
tun habe. Wie schön!
Aber warum
erzähle ich, dass ich in meiner Arbeit versinke? Weil ich mir nur so erklären kann,
dass ich erst spät registriere, was alle anderen schon von der ersten Sekunde an
mitgekriegt haben. Alle außer Lena, sonst hätte sie mir bestimmt einen Hinweis gegeben.
Im Büro ist nämlich ›the one and only‹ aufgetaucht. Und ich habe es nicht bemerkt!
Ich muss dringend an meiner Wahrnehmung arbeiten. Wie geht es an, dass Frank Kraus
durch das Großraumbüro wandelt und dann stundenlang Dürris Büro besetzt, ohne dass
ich es mit jeder Faser meines Körpers spüre? Wieso vibriert nicht alles an mir,
wo er doch meine Kolleginnen über mich – ja, Sie lesen richtig – ausfragt? Der Grund,
aus dem er das macht, ist zwar nicht so romantisch, wie ich es mir wünschen würde.
Aber immerhin interessiert er sich für mich. Im Moment vielleicht noch im Zuge der
Mordermittlungen, aber das wird sich ändern, ganz sicher. Er fragt meine Kollegen
und Kolleginnen über meine Gewohnheiten und Stimmungen aus, wie ich von der treuen
Lena hinterher erfahre. Sie wird als eine der Letzten verhört. Da ist der Vormittag
schon um, und gleich darauf verlassen wir das Gebäude für unsere Pause. Da die Sonne
vom Himmel lacht, schlagen wir heute wieder den Weg in die Fußgängerzone ein. Bei
der Kirche stockt Lena und legt nachdenklich den Kopf schief. »Findest du das nicht
auch gruselig? Ich muss immer daran denken, wie Mark Friskeel hier runtergestürzt
ist. Ob er sofort tot war?«
Ich schaudere.
»Ja, ich denke schon. Sein Genick war doch gebrochen.«
Sie stöhnt.
»Furchtbar.«
»Ja, du
hast recht.«
Wir setzen
uns auf eine Bank unter einem der Bäume am Rand des Großen Marktes. Mir ist soeben
wieder klar geworden, dass Friskeels Tod vielleicht meine Schuld ist, da ich möglicherweise
das Türchen habe offenstehen lassen, und meine Hochstimmung vom Vormittag verabschiedet
sich. Stattdessen male ich mir immer wieder aus, wie er dort oben vielleicht ins
Leere getreten ist, weil ihm schwindlig wurde und die schützende Absperrung gefehlt
hat.
»Sag mal
…« Lena beißt in ihr Sandwich und nuschelt kauend: »Hast du was mit dem Friskeel
gehabt?«
Ich falle
aus allen Wolken. »Was? Wie kommst du denn darauf? Nein.«
»Na ja,
ich dachte nur, weil der Kommissar so komisch gefragt hat.«
»Wie meinst
du das, er hat komisch gefragt?«
Sie legt
das Sandwich neben sich in der Plastikbox ab und schaut hoch in das Blätterdach.
»Also, wenn es nicht um Mord gehen würde, dann könnte man denken, der will was von
dir.«
In mir krabbeln
sofort tausend imaginäre Ameisen. Hat Kat nicht etwas Ähnliches gesagt?
»Was wollte
er denn wissen, so im Einzelnen?«
Sie grinst
mich an. »Also, zuerst mal, ob du den Friskeel kennst. Ich habe ihm erklärt, dass
wir ihn fast alle kennen, weil er auf einer der Horrorlisten steht.«
Ich nicke.
Das ist ja schon mal gut, das entlastet mich, oder? »Und dann?«
»Dann wollte
er wissen, ob du Mark Friskeel schon mal getroffen hast. Ich sagte, dass ich das
nicht weiß. Dann wollte er wissen, ob du andere Kunden schon mal getroffen hast.
Ich sagte, dass ich auch das nicht weiß, aber dass ich es nicht glaube.«
Sie nimmt
ihr Brot zur Hand und beißt hinein. Anscheinend findet sie, dass ich jetzt etwas
sagen sollte. Ich denke darüber nach, ob man seine Fragen als Eifersucht auslegen
könnte. Wenn ich doch nur wüsste, ob er sich für mich interessiert! Doch dann denke
ich an den Beinahe-Kuss gestern, bevor er ging, und meine
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