Beim ersten Om wird alles anders
sich bücken, neuerdings genannt wird.
Nach dem Essen lese ich noch die letzten Seiten eines Manuskripts, das ich auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen überprüfe - alle Textstellen, aus denen leicht reizbare A-bis-C-Promis eine medienwirksame Klage basteln könnten, müssen raus. Tina schaut mir über die Schulter und amüsiert sich besonders über die Indiskretionen, welcher Körperteil welches Stars nicht mehr ganz echt sein soll. Es ist die Biografie eines Schönheitschirurgen, und ich fürchte, dass ich Tinas Lieblingsstellen streichen muss. Gut so, es lebe die Natürlichkeit. Am nächsten Tag werde ich meine zahlreichen Änderungsvorschläge telefonisch meinem Assistenten Jens mitteilen und dann das Manuskript freigeben. Eigentlich könnte ich doch immer von hier arbeiten. Ich werde mit meinem Chef sprechen. Entspannte Mitarbeiter sollten einem Unternehmen etwas wert sein.
Am nächsten Tag erlebe ich ein yogatypisches Wechselspiel aus Ermunterung und Enttäuschung. Bei einer Handstandübung sind nicht für alle Kursteilnehmer ausreichend viele Bänder vorhanden, diese Hilfsmittel, mit denen man seine Haltung verbessern kann. Als welche verteilt werden sollen, ruft Alexandros: „Rainer does not need one.“Aber dann komme ich trotz großer Bemühungen nicht in den Handstand, Alexandros wirft mir nur kommentarlos ein übrig gebliebenes Band hin, das ich um die Unterarme wickeln soll. Der Meister ist von mir enttäuscht!
Heute früh hat Alexandros bei seinen einleitenden Ausführungen, die auch schon mal Allgemeines behandeln wie „What is Yoga, what is the mind“, erzählt, wie er zum Vegetarier wurde. Das war vor ein paar Jahren, als er mit seinem Sohn einen Bauernhof besuchte. Bei mir
war es ganz anders, schon als Kind hat sich das so ergeben. Ich habe mich in der Gruppe zu Wort gemeldet und ein wenig darüber gesprochen. Ist sonst gar nicht meine Art, öffentlich über meine inneren Befindlichkeiten zu reden. Muss an der ungewohnten Umgebung liegen. Wer weiß, was ich noch alles zulasse, es wird Zeit, wieder zurück in die Zivilisation zu gelangen.
Am nächsten Tag aber bin ich froh, dass ich noch dabei bin. Da unterrichtet uns eine Teilnehmerin, die selbst auch Trainerin ist. Sie erklärt lange, dass die Krönung des Yogi-Daseins der Kopfstand ist. Den beherrsche ich aufgrund einer Laune der Natur auch ohne jede Yoga-Praxis. Als sie mich in dieser Haltung sieht, hat sie meine Vorstellungsworte noch im Ohr. Erstaunt ruft sie aus: „Oh, I thought he was a beginner.“Meine Resultate bei den anschließenden Übungen aber bestätigen meinen Anfängerstatus: Den großen Zeh festzuhalten und das Bein wie eine Cancan-Tänzerin auszustrecken, auf einem Knie zu stehen und sich die Ferse des anderen Fußes an den Po zu drücken, oder auf den Händen zu stehen und die Beine seitlich abzuspreizen, beherrsche ich nicht besonders gut. Ganz zu schweigen von den nachfolgenden Rückbeugen, bei denen ich mich in kniender Haltung auf die Fersen setzen und dabei die Arme nach hinten beugen soll. Ich fühle mich nicht gut dabei, aber als ich dann Alexandros‘Kommentare höre, geht es mir schon wieder viel besser: „Don’t blame me for the position you’re in“oder „Nobody told you that yoga is fun.Yoga is great fun“.
So gehen die Tage dahin, Yoga, Nachmittag am Strand einschließlich Klippenspringen aus acht Meter Höhe
als Mutprobe. Für Abwechslung sorgt ein Ausflug in die nächstgelegene Stadt, wo sich einige von uns im Überschwang Henna-Tattoos aufmalen lassen. Ich wähle eine Art Band auf dem linken Oberarm. Dazu kaufe ich ein Batik-T-Shirt und ein türkisfarbenes Halstuch und lasse beides gleich an. Als ich damit in die Pension zurückkomme und Alexandros treffe, bin ich peinlich berührt, dass er mich so sieht. In seiner Gegenwart will man doch cool sein. Er lacht nur wie jemand, dem nichts Menschliches fremd ist, und sagt: „Ah, machen wir jetzt auf Hippie.“
An einem Abend besuchen wir ein griechisches Fest in der Umgebung. Auf dem schönen Dorfplatz sitzt die gesamte Einwohnerschaft einschließlich Kleinkinder beieinander und sieht zu, wie die jungen Mädchen, die sich
modisch eher an Paris Hilton als an Folklore zu orientieren scheinen, griechische Tänze aufführen, unter anderem den mit großem Ernst betriebenen Sirtaki mit sorgsam aufgesetzten Bein- und gravitätischen Armbewegungen. Die Musikanten sind drei ältere Herren, zwei mit wuchtigen Gitarren, einer mit korfiotischer Minigeige
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