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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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den Weg läuft. Anders als auf der Onkologie kenne ich hier niemanden vom Personal. »Sie hat vor einer Stunde Tylenol bekommen«, erklärt mir die Frau. »Ich weiß, es geht ihr nicht ganz so gut –«
    Â»Roxicet. Tylenol mit Kodein. Naproxen. Und wenn Sie keine ärztliche Verordnung dafür haben, müssen Sie eben fragen, ob es geht.«
    Die Krankenschwester wird ungehalten. »Nichts für ungut, Mrs. Fitzgerald, aber ich mache das hier jeden Tag und –«
    Â» Ich auch .«
    Als ich zu Anna zurückkomme, habe ich eine Kinderdosis Roxicet dabei, die entweder ihre Schmerzen lindern oder Anna so betäuben wird, daß sie nichts mehr spürt. Ich trete ins Zimmer und sehe, wie Brian mit seinen großen Händen an dem Miniverschluß eines Halskettchens hantiert, das er Anna umhängt. »Ich hab mir gedacht, daß du auch ein Geschenk verdient hast, wo du doch deiner Schwester eins machst«, sagt er.
    Natürlich sollte Anna dafür honoriert werden, daß sie ihr Knochenmark spendet. Natürlich verdient sie Anerkennung. Doch der Gedanke, jemanden für sein Leiden zu belohnen, ist mir ehrlich gesagt nie gekommen. Wir leiden doch alle schon so lange.
    Sie blicken beide auf, als ich hereinkomme. »Schau mal, was ich von Daddy gekriegt hab!« sagt Anna.
    Ich halte ihr den Dosierungsbecher mit dem Schmerzmittel hin, der mit dem Halskettchen nicht mithalten kann.
    Kurz nach zehn Uhr bringt Brian Anna in Kates Zimmer. Sie bewegt sich langsam, wie eine alte Frau, und wird von Brian gestützt. Die Krankenschwestern helfen ihr, Maske, Kittel, Handschuhe und Schuhschützer anzuziehen, damit sie hineindarf – eine mitfühlende Ausnahme, denn normalerweise dürfen Kinder niemanden im Isolationsraum besuchen.
    Dr. Chance steht neben dem Infusionsständer und hält den Beutel Knochenmark hoch. Ich drehe Anna so, daß sie es sehen kann. »Schau mal«, sage ich, »das hast du uns geschenkt.«
    Anna verzieht das Gesicht. »Ist ja ekelhaft. Das könnt ihr behalten.«
    Â»Angebot angenommen«, sagt Dr. Chance, und das satte, rubinrote Knochenmark läuft in Kates Portkatheter.
    Ich lege Anna auf das Bett. Es hat genug Platz für sie beide, Schulter an Schulter. »Hat es weh getan?« fragt Kate.
    Â»Ziemlich.« Anna zeigt auf das Blut, das durch Plastikschläuche in dem Schnitt in Kates Brust verschwindet. »Tut das weh?«
    Â»Eigentlich nicht.« Sie setzt sich ein wenig auf. »Du, Anna?«
    Â»Ja?«
    Â»Ich bin froh, daß es von dir ist.« Kate nimmt Annas Hand und legt sie direkt unter den Katheter, eine Stelle, die dem Herzen gefährlich nahe ist.
    Einundzwanzig Tage nach der Knochenmarktransplantation erhöht sich die Zahl von Kates weißen Blutkörperchen, ein Beweis dafür, daß sich die Spenderstammzellen angesiedelt haben. Zur Feier des Tages will Brian mit mir essen gehen. Er engagiert eine private Pflegerin, die mich bei Kate vertritt, reserviert einen Tisch im XO Café und bringt mir sogar ein schwarzes Kleid aus meinem Schrank ins Krankenhaus. Er vergißt die Pumps, so daß mir nichts anderes übrigbleibt, als zur Abendgarderobe meine abgetretenen Alltagsschuhe zu tragen.
    Das Restaurant ist fast voll. Kaum haben wir Platz genommen, kommt der Oberkellner und fragt, ob wir Wein möchten. Brian bestellt eine Flasche Cabernet Sauvignon.
    Â»Weißt du überhaupt, ob das Rot- oder Weißwein ist?« Ich kann mich nicht erinnern, Brian je etwas anderes als Bier trinken gesehen zu haben.
    Â»Ich weiß, daß Alkohol drin ist, und ich weiß, daß wir einen Grund zum Feiern haben.« Er hebt sein Glas, nachdem der Kellner uns eingeschenkt hat. »Auf unsere Familie«, sagt er.
    Wir stoßen an und trinken einen Schluck. »Was nimmst du?«
    Â»Was soll ich denn nehmen?«
    Â»Das Filet. Dann kann ich mal probieren, wenn ich die Seezunge nehme.« Ich klappe meine Speisekarte zu. »Weißt du, wie die Ergebnisse vom letzten Blutbild sind?«
    Brian blickt nach unten auf den Tisch. »Ich hatte gehofft, wir könnten hier mal ein bißchen Abstand von allem kriegen. Na ja. Uns einfach mal unterhalten.«
    Â»Ich würde mich gern mit dir unterhalten«, gebe ich zu. Aber als ich Brian ansehe, fällt mir nur wieder Kate ein. Ich habe außerdem gar keinen Anlaß, ihn zu fragen, wie sein Tag war – er hat sich drei Wochen

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