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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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mich kümmert, versucht mich abzulenken, indem sie von den Sternzeichen anfängt. »Sie wird Steinbock«, sagt Emelda, während sie mir die Schultern massiert.
    Â»Ist das gut?«
    Â»Und wie, Steinböcke sind ungemein praktisch veranlagt.«
    Einatmen, ausatmen. »Gut … zu … wissen«, sage ich.
    Es sind noch zwei andere Babys auf dem Weg in die Welt. Eine Frau, so erzählt Emelda, hält die Beine über Kreuz. Sie will es unbedingt bis ins Jahr 1991 schaffen. Das Neujahrsbaby bekommt nämlich Gratiswindeln und ein Sparbuch mit 100 Dollar von der Citizens Bank als Startkapital für das Studium in weiter Ferne.
    Als Emelda mal nach draußen ins Schwesternzimmer geht, nimmt Brian meine Hand. »Geht’s dir gut?«
    Ich presse die Zähne während einer weiteren Wehe zusammen. »Wenn’s vorbei wäre, ging’s mir besser.«
    Er lächelt mich an. Für einen Sanitäter und Feuerwehrmann ist eine routinemäßige Krankenhausentbindung zum Gähnen. Wenn mir die Fruchtblase nach einem Zugunglück im Abteil geplatzt wäre oder wenn ich auf der Rückbank eines Taxis Preßwehen hätte –
    Â»Ich weiß, was du denkst«, unterbricht er meine Gedanken, obwohl ich sie nicht ausgesprochen habe, »und du irrst dich.« Er hebt meine Hand, küßt sie.
    Plötzlich rollt in mir eine Ankerkette ab, faustdick, und dreht sich in meinem Unterleib. »Brian«, keuche ich, »hol den Arzt.«
    Mein Gynäkologe kommt herein und hält die Hand prüfend zwischen meine Beine. Er wirft einen Blick auf die Uhr. »Wenn Sie noch eine Minute durchhalten, kommt das Kind berühmt zur Welt«, sagt er, doch ich schüttele den Kopf.
    Â»Holen Sie’s raus«, verlange ich. »Sofort.«
    Der Arzt lächelt Brian an. »Aus Steuergründen?«
    Nein, aus Lebensrettungsgründen, denke ich. Der Kopf des Babys schlüpft durch das Siegel meiner Haut. Der Arzt hält sie mit einer Hand fest, löst die wunderbare Nabelschnur, die um ihren Hals liegt, zieht zuerst die eine, dann die andere Schulter heraus.
    Ich hieve mich auf die Ellbogen, um genau mitzubekommen, was da unten vor sich geht. »Die Nabelschnur«, ermahne ich ihn. »Seien Sie vorsichtig.« Er durchtrennt sie, herrliches Blut, und bringt sie eilig aus dem Zimmer zu der Stelle, wo sie kryogenisch aufbewahrt wird, bis Kate bereit für sie ist.
    Der erste Tag von Kates Prätransplantationsdiät beginnt am Morgen nach Annas Geburt. Ich komme von der Entbindungsstation herunter und treffe Kate in der Radiologie. Wir tragen beide gelbe Schutzkittel, und sie muß lachen. »Mommy«, sagt sie, »wir sind gleich angezogen.«
    Man hat ihr einen pädiatrischen Beruhigungscocktail gegeben, und unter allen anderen Umständen wäre das lustig. Kate kann sich nicht richtig auf den Beinen halten. Jedes Mal, wenn sie aufsteht, fällt sie wieder um. Mir kommt der Gedanke, daß sie so aussehen wird, wenn sie sich in der High School oder auf dem College das erste Mal mit Pfirsichschnaps betrinkt, und dann rufe ich mir hastig in Erinnerung, daß Kate ja vielleicht gar nicht so alt wird.
    Als die Therapeutin kommt, um sie in den Bestrahlungsraum zu bringen, klammert sie sich an meinen Beinen fest. »Schätzchen«, sagt Brian, »das ist überhaupt nicht schlimm.«
    Sie schüttelt den Kopf und drängt sich noch fester an mich. Als ich in die Hocke gehe, wirft sie sich in meine Arme. »Ich lasse dich nicht aus den Augen«, verspreche ich ihr.
    Der Raum ist groß, mit Dschungelbildern an den Wänden. Die Linearbeschleuniger sind in die Decke und in eine Vertiefung unter dem Behandlungstisch eingebaut, der eigentlich bloß eine Segeltuchliege mit Laken darauf ist. Die Bestrahlungstherapeutin legt Kate dicke, bohnenförmige Bleistücke auf die Brust und schärft ihr ein, sich nicht zu bewegen. Sie verspricht ihr, daß sie einen Lutscher bekommt, wenn alles vorbei ist.
    Ich starre Kate durch die Wand aus Schutzglas an. Gammastrahlen, Leukämie, Elternschaft. Gerade die Dinge, die man nicht sehen kann, sind stark genug, um dich umzubringen.
    Die Onkologie hat ihre eigene Logik. Es ist zwar nirgends schwarz auf weiß zu lesen, aber viele glauben daran: Wenn dir nicht richtig schlecht wird, wirst du auch nicht gesund. Wenn dich also deine Chemo völlig elend macht, wenn die Bestrahlung dir die Haut verbrennt – dann

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