Beinah auf den ersten Blick: Roman (German Edition)
schmerzte in dem Versuch, nicht die Fassung zu verlieren. »Aber so war es nicht. Wir sind schon immer zusammen. Es ist kaum zu glauben, aber wir sind zusammen, seit wir vierzehn waren. Eine Jugendliebe.« Ihr stockten die Worte. Alles war jetzt verdorben. »An meinem sechzehnten Geburtstag haben wir zusammen unsere Jungfräulichkeit verloren. Wir w-wollten immer nur uns haben, für immer und ewig, für den Rest unseres Lebens. Ha, und ich habe das tatsächlich geglaubt!« Knaaaackkkk , das Glas des nächsten Rahmens zerbrach auf dem Boden. Abbie zuckte zusammen, als eine Scherbe an ihrem nackten Fuß abprallte.
»Jetzt ist es gut, kommen Sie her.« Des nahm sie an der Hand und zog sie von den Scherben weg. »Sie werden sich noch verletzen.«
»Glauben Sie etwa, ich sei nicht schon verletzt?« Abbie heulte auf: »Sie verstehen doch nicht mal annähernd, wie ich mich fühle! Des, haben Sie sich je gefragt, warum Tom und ich keine Kinder haben?«
In seinen grauen Augen lag Verwirrung. Diese Frage hatte er sich offenbar noch nie gestellt. »Nein.«
»Tja, es liegt daran, dass ich keine Kinder bekommen kann. Niemals.« Verlor sie jetzt vollends die Fassung? Abbie war es egal. Sie spürte vage, dass Des sie von den Glasscherben wegzog – na toll, jetzt behandelte er sie auch noch wie ein geistesschwaches Schaf –, brach in Tränen aus und schluchzte: »Und darum kann ich es nur umso sch-schwerer ertragen, ehrlich, wo das doch alles war, was ich jemals in meinem Leben haben w-wollte.«
Supermann übernahm das Kommando. Er führte sie mit fester Hand aus dem Wohnzimmer zur Treppe. »Sagen Sie mir, wo Sie Ihren Staubsauger aufbewahren. Und dann ziehen Sie sich an. Sie bleiben hier nicht allein.«
Wenn man am Ende seiner Weisheit ist und nicht weiß, was man tun soll, dann war es eine große Erleichterung, klare, einfache Anweisungen zu erhalten. Sich anziehen, das brachte sie fertig. Während der Dyson unten lautstark röhrte und Splitter und Glasscherben aufsaugte, zog Abbie Jeans und einen alten, übergroßen, blauen Pulli mit V-Ausschnitt an. Jedermann hatte immer gesagt, dass sie und Tom die glücklichste Ehe von allen führten, und sie war so dumm gewesen, den Leuten zu glauben. Während Tom hinter ihrem Rücken, während sie sich lächerlich glücklich und geliebt gefühlt hatte, das Geheimnis seiner Untreue gehütet hatte. Und sobald man erst einmal eine Affäre gehabt hatte … tja, warum nach dem ersten Mal aufhören? Soweit sie wusste, konnten es ein halbes Dutzend Liebschaften sein.
Es brachte nichts, darüber nachzudenken. Also dachte sie nicht darüber nach. Nachdem Abbie erfolglos versuchte hatte, ihre Frisur zu richten, gab sie auf und band das Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen.
Durfte man zerbrochenes Glas überhaupt mit einem Dyson aufsaugen, oder würde das sein Innenleben unreparierbar zerstören und ihn für immer nutzlos machen?
Oh, sie wusste, wie sich das anfühlte.
6.
Kapitel
Die Wohnung von Des lag über dem Gartenzentrum. Sie war schlicht eingerichtet, in unterschiedlichen Weißschattierungen und aufgeräumter, als Abbie sich das vorgestellt hatte. Als er ihr einen Drink anbot, sagte sie: »Wein, bitte. Weißwein, wenn Sie haben.« Des meinte entschuldigend: »Tut mir leid, Wein habe ich nicht. Ich könnte in den Pub gehen und eine Flasche holen. Es ist auch noch ein bisschen Cognac vom letzten Weihnachtsfest übrig.«
Er trank offensichtlich nicht sehr viel, was ja nicht schlecht war. In der schmalen Küche entdeckte Abbie Limonade im Kühlschrank und sagte: »Tja … dann also Cognac und Limonade, das ist schon in Ordnung.« Sie brachte es nicht über sich, sich zu beschweren, als Des, der es nicht besser wusste, die gleiche Menge Cognac und Limonade in einen Bierkrug mit einem halben Liter Fassungsvermögen goss.
Nach den ersten schaudernden Schlucken gewöhnte man sich sogar an das Gebräu. Und die Wärme, die sich daraufhin in ihrem Magen ausbreitete, half ihr, sich zu entspannen. Sie verstand, warum sich Menschen in Not dem Alkohol zuwandten. Neben ihr auf dem verblassten Ledersofa, vor einem echten Kaminfeuer, saß Des und war ein hervorragender Zuhörer, der mitfühlend nickte und ganz auf ihrer Seite war. Er unterbrach sie nicht. Es schien ihm nichts auszumachen, dass sie das Gespräch beherrschte. Und jedes Mal, wenn sie ein Taschentuch durchgeheult hatte, reichte er ihr die Schachtel mit den frischen.
»… wir fanden es heraus, als ich 17 war. Ich musste ins
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