Beinah auf den ersten Blick: Roman (German Edition)
es nicht so viel Spaß gemacht, mit ihm verheiratet zu sein.« Sie beäugte das unberührte Rosinenbrötchen auf Cleos Teller. »Essen Sie das noch, oder kann ich es haben?«
Cleo schob den Teller über den Tisch. Diese armen Kinder, wie würden sie mit der Scheidung ihrer Eltern klarkommen? »Warum sind Sie heute hergekommen?«
»Ich wollte Sie einfach sehen. Herausfinden, wie Sie ausschauen. Ich wollte nicht einmal mit Ihnen sprechen.« Nüchtern fügte Fia hinzu: »Dass der Wagen den Geist aufgibt, war nicht Teil des Plans.«
»Und woher wussten Sie, wo ich wohne?«
»Ach, das war ein kleines bisschen illegal.« Fia schnitt eine Grimasse. »Sie sind im selben Netz wie Will, und ich habe zufällig eine Freundin, deren Bruder für die Telefongesellschaft arbeitet. Er hat mir auch die Kopie der Rechnung besorgt. Dann habe ich ihn überredet, Ihre Adresse nachzuschlagen. Aber es ist schon in Ordnung, ich habe ihm versprochen, Ihr Haus nicht in Brand zu setzen.«
Zwanzig Minuten später sah Cleo aus dem Wohnzimmerfenster. Es schneite immer noch in dicken Flocken.
»Hören Sie, ich darf mich für meinen nächsten Job nicht verspäten. Ich muss früher los.«
Fia klappte ihr Handy auf und rief noch einmal beim Pannendienst an. Sie runzelte die Stirn, hörte zu. » Wie lange?«
Also gut, das würde jetzt peinlich. Cleo fragte sich, was sie jetzt tun sollte.
»Noch zwei Stunden.« Fia klappte ihr Handy zu und meinte voller Ironie: »Offenbar sind sie eingeschneit.«
»Äh …«
»Schon gut, ich weiß, ich warte im Wagen.«
Verdammt. Cleo war hin- und hergerissen. Sie vor die Tür zu setzen, wäre jetzt noch peinlicher. Aber sie konnte doch unmöglich gehen und eine völlig Fremde im Haus lassen? Nur dass Fia noch schlimmer war als eine völlig Fremde; sie war Wills emotional gebeutelte, betrogene Ehefrau. Wer wusste, ob sie nicht völlig durchdrehen, Cleos Kleider zerschneiden und alles zerschmettern würde, was ihr unter die Finger kam?
Cleo zögerte, immer noch unentschlossen. Andererseits hatte ich eine Affäre mit ihrem Mann.
Außerdem würde Fia zu Tode erfrieren, wenn sie zwei Stunden lang in ihrem Wagen saß.
»Moment.« Sie nahm ihr eigenes Handy und drückte die Kurzwahlnummer von Ash. »Hallo, ich bin’s. Was machst du gerade?«
»Nicht viel. Ich google mich selbst und schaue nach, wie beliebt ich bin. Weißt du, es ist unfassbar, wie sehr mich alle lieben, sie …«
»Komm her«, unterbrach ihn Cleo. »Du musst mir einen Gefallen tun.«
Zwanzig Sekunden später öffnete sie ihm die Tür. Ash trug ein kariertes Hemd mit Rissen über einem ausgebleichten Supermann T-Shirt. Er warf sich in Positur und rief: »Eine Maid in Not? Ich bin hier, um zu helfen. Was ist es? Probleme mit der Elektrik? Oder bekommst du mal wieder ein Einmachglas nicht auf?«
»Ich muss zurück zur Arbeit. Kannst du für mich auf jemand aufpassen? Ihr Auto springt nicht an.« Cleo wies auf den Fiesta, der schief vor der Gartenpforte stand. »Leiste ihr einfach Gesellschaft, bis der Pannendienst kommt.«
»Ist gut, kein Thema. Rieche ich da getoastete Rosinenbrötchen?« Er eilte an ihr vorbei ins Wohnzimmer und blieb dort abrupt stehen. »Oh. Hallo.« Ash starrte auf Fia und lief rot an. Ein Farbton, der ihm nicht gut zu Gesicht stand.
Sie sah ihn neugierig an, registrierte die ungekämmten Haare, die fleckige Gesichtshaut und das schlampige Outfit. »Hallo.«
»Fia, das ist mein Freund Ash.« Cleo hatte kein Zeit, das Kindermädchen zu spielen. Wenn er schüchtern sein wollte, war das sein Problem. »Ash, das ist Fia.« Nachdem sie sie einander vorgestellt hatte, griff sie nach ihrer Tasche und den Schlüsseln. »Ich muss los.« Sie winkte Fia zum Abschied. »Ich hoffe, Ihr Wagen wird bald repariert. Und viel Glück mit … Sie wissen schon … dieser anderen Sache.«
»Danke.« Fia nickte und lächelte. »Wiedersehen.«
Die Haustür schlug hinter Cleo zu, und Ash spürte, wie seine Hände feucht wurden. Das war sie. Die Geschichte seines Lebens. Äußerlich hielten ihn alle für selbstsicher und fröhlich. Und die meiste Zeit hatten die Leute ja auch recht, er war selbstsicher und fröhlich. Bis er sich in Gesellschaft einer Frau befand, die ihm gefiel. Dann schrumpelte seine Persönlichkeit ein und trocknete aus wie eine Rosine.
Er war daran gewöhnt. Das ging ihm schon seit Jahren so. Wäre er Amerikaner, hätte er zweifelsohne endlose Stunden in der Praxis eines Therapeuten verbracht und dort Tausende von
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