Beinah auf den ersten Blick: Roman (German Edition)
während der Rest sich prompt von der Gabel wickelte und wieder auf den Teller fiel. » Mist .« Er griff nach seiner Papierserviette und rieb sich die orangefarbenen Flecke von seiner Hemdbrust.
»Am Kinn ist auch noch was«, meinte Fia hilfreich.
»Oh. Danke.«
Sie zeigte mit dem Finger. »Und an Ihrem Ohr.«
»Ah ja.« Gottverdammt, unkontrollierbare Spaghetti.
»Tja, ich mache mich besser wieder an die Arbeit.« Fröhlich drehte sich Fia um und tänzelte in die Küche, wobei sie eine Zeile aus einer der Arien sang, die Richard Mills am Vorabend zum Besten gegeben hatte.
Ash atmete aus und legte seine soßenverkleckerte Serviette zur Seite. Hatte er jetzt den absoluten Tiefpunkt erreicht? War er endlich ganz unten?
Denn wenn ja, dann war es vielleicht an der Zeit, die Anonymen Loser anzurufen.
Hallo, mein Name ist Ash Parry-Jones, und bei der Arbeit bin ich lustig, klug und kann mich enorm gut artikulieren, ohne mich anstrengen zu müssen … ich habe viele Tausend Fans, die jeden Morgen meine Sendung einschalten, weil sie wissen, dass ich sie gut unterhalten und ihren Tag verschönen werde.
Aber außerhalb der Arbeit bin ich ein Depp.
Das Problem, wenn man unten ein wenig entrümpeln wollte und drei Tüten mit diversem Gerümpel auf den Speicher trug, war, dass man die Tüten nie einfach nur abstellte und sofort wieder nach unten ging. Während man oben war, entdeckte man unweigerlich immer etwas, das man seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, und ließ sich davon ablenken.
Cleo saß im Schneidersitz mit dem Rücken an einen Berg Decken gelehnt – und das nun schon seit zwei Stunden. Sie hatte anfangs einen Koffer mit den Lieblingskleidungsstücken ihres Vaters durchwühlt. Ihre Mutter mit elf Jahren zu verlieren war entsetzlich gewesen, aber sie wusste, dass sie von Glück reden konnte, einen so liebevollen, sanften Vater zu haben, der beide Elternrollen übernahm und es ausgezeichnet schaffte, sie und Abbie großzuziehen. Eines Tages würde sie seine alten Wollpullis und ausgebleichten Karohemden der Wohlfahrt spenden können, aber noch war sie nicht so weit.
Dann hatte sie eine Pappschachtel durchwühlt, in der all die Bücher lagen, die sie als Kind so geliebt hatte. Die Wohlfahrt konnte diese Bücher definitiv nicht bekommen, denn sie hatte vor, sie eines Tages ihren eigenen Kindern vorzulesen, ob sie das wollten oder nicht.
Und es gab noch eine weitere Schachtel mit Puzzle-Spielen, die sie wirklich entsorgen sollte. Kein Kind aus dem 21. Jahrhundert wollte puzzlespielen, lieber hing es tot überm Zaun.
Cleo hatte auch eine Dose mit dem alten Modeschmuck ihrer Mutter gefunden, eine Schuhschachtel voll mit alten Postkarten und einen Karton mit vollgekritzelten Schulheften und Zeugnissen. Vor allem die Lektüre der Zeugnisse hatte Erinnerungen zurückgebracht – und nicht nur positive. Mr Elliott hatte geschrieben: »Wenn Cleo sich mehr der Geschichte und weniger den Jungs widmen würde, könnte sie womöglich Fortschritte erzielen!« Miss Barlow hatte vermerkt: »Auf dem Tennisplatz zeigt Cleo viel Elan.« Was eine höfliche Umschreibung für die Tatsache war, dass sie keinen Ball über das Netz bekam, aber sehr gut darin war, die Bälle wieder einzusammeln. Und Mr Haines, ihr Mathelehrer, hatte sie als »im Unterricht allzu leicht abzulenken, für gewöhnlich einzelgängerisch« charakterisiert.
Jedenfalls hatte das Karma am Ende für einen Ausgleich gesorgt. Zwei Jahre später war Mr Haines von der Polizei in seinem Wagen angehalten worden, unter dem Vorwurf, fahrlässig und unaufmerksam unterwegs gewesen zusein. Und zu diesem Zeitpunkt trug er nichts weiter als ein Satin-Korsett, Seidenstrümpfe und einen Strumpfhalter.
Aua, ihr Bein war eingeschlafen. Cleo verlagerte ihre Position, beugte sich vor und griff nach dem nächsten Päckchen an Fotos aus der Truhe vor ihr.
Deswegen hatte sie die letzte Stunde hier oben verbracht. Ihr Vater war nirgends ohne Kamera hingegangen. Er hatte in ihrer Kindheit endlos fotografiert, und damals hatte sie sich oft gewünscht, er würde es nicht tun. Es war für sie ein endloser Quell an Peinlichkeiten und Scham.
Aber fast zwei Jahrzehnte später war die Peinlichkeit verblasst, und sie war froh, dass er es getan hatte. Er hatte das Dorfleben in allen Einzelheiten eingefangen, und es war einfach herrlich, wie sie alle vor so langer Zeit ausgesehen hatten. Als Cleo sich durch die Schnappschüsse arbeitete, fand sie einen von sich selbst, mit
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