Beinah auf den ersten Blick: Roman (German Edition)
ebenso gefielen wie ihr. Die nächste halbe Stunde verging wie im Flug. Sie und Johnny mochten in der Pubertät vielleicht keine Freunde gewesen sein, aber sie hatten dieselben Leute gekannt. Er stieß Entzückensschreie aus, als er Orte und Ereignisse aus ihrer gemeinsamen und doch getrennten Vergangenheit erkannte. Es gab Aufnahmen von Weihnachtsfeiern, Guy-Fawkes-Nächten, Schulsportveranstaltungen, Badminton- und Reitturnieren …
»Da ist deine Tante Jean.« Johnny nahm ein Foto zur Hand, das auf die Seite gefallen war. Älter als diejenigen, die sie sich angeschaut hatten, zeigte es eine junge Jean, mit Mitte zwanzig und noch gesund, strahlend vor Lebensfreude. Auf diesem Foto trug sie ein Kleid in Grün und Rosa und hatte Blumen im langen Haar. Sie saß auf einer Mauer, hielt einen kleinen Mischlingshund mit schiefen Ohren in den Armen und lachte in die Kamera. Cleo spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog vor Sehnsucht nach der glücklichen Tante, die sie verloren hatte.
»Sieh sie dir an«, staunte Johnny. »Ziemlich umwerfend. Zu ihrer Zeit.«
Cleo nickte.
»Diese Augen.« Er hielt das Fotos auf Armeslänge von sich, dann drehte er sich zu Cleo und sah sie an. »Sie schaut genau so aus wie du.«
»Ich weiß.«
»He, aufhören, nicht weinen.« Johnny nahm ihre Hand in seine. »Was ist los?«
All die alten Erinnerungen waren hochgerührt worden wie Schlamm in einem Eimer. Cleo erinnerte sich an den entsetzlichen Nachmittag, als Tante Jean, volltrunken und kaum in der Lage zu stehen, gesagt hatte: »He, Baby, sieh uns an, sehen wir nicht absolut gleich aus, wie? Du und ich?« Sie hatte Cleo in den Arm genommen, bevor sie fliehen konnte, und hatte ihr einen feuchten Kuss ins Gesicht gedrückt. »Wenn du groß bist, wirst du genauso sein wie ich!«
Was, wenn man zwölf Jahre alt ist, kein besonders aufmunternder Gedanke ist.
Dummerweise hatte Cleo das nie verdrängen können. Es war vielleicht lächerlich, aber nach all diesen Jahren trieb sie immer noch die Angst um, sie könnte eines Tages so werden wie Tante Jean.
»Nicht doch.« Johnny wischte ihr die Tränen mit dem Daumen ab. »Nicht weinen. Es tut mir leid.«
»Ist schon gut, es ist alles in Ordnung.« Es musste an den Hormonen liegen. Cleo atmete aus und rang um Fassung. Er musste sie für ein völliges Weichei halten.
»Vermutlich war es nicht so einfach, mit Jean als Tante aufzuwachsen.« Während er das sagte, tätschelte er ihr aufmunternd den Rücken. Er trug an diesem Tag kein Aftershave, aber der saubere, natürliche Geruch von ihm war, wenn überhaupt, noch hypnotischer. »Es gab keinen Grund, sich für sie zu schämen, weißt du.«
Cleo nickte. »Sie war trotzdem peinlich. Man wusste nie, was sie als Nächstes anstellen würde.« Ihre Schultern entspannten sich allmählich, während er mit der flachen Hand in beruhigenden Kreisen ihren Rücken massierte. »Ich schämte mich, mich zu schämen. Ergibt das einen Sinn? Sie führte uns alle vor, und ich wünschte mir immer, sie wäre weg.«
Und Tante Jean ängstigte mich zu Tode, denn wenn es ihr passieren konnte, wer wollte dann sagen, dass es nicht auch mir passiert?
»Niemand kann dir diese Gefühle vorwerfen.« Johnnys Stimme klang tröstlich. Es kam ihr immer noch merkwürdig vor, wenn er so nett zu ihr war.
»Jedenfalls wurde mir mein Wunsch erfüllt, nicht wahr?« Cleo langte nach einem weiteren Stapel mit Fotos. »Sie ist für immer weg.«
Er nickte. Mehr musste auch nicht gesagt werden. Tante Jeans Leber hatte noch ein paar Jahre tapfer mitgehalten. Jean stolperte von einer alkoholgetränkten, chaotischen Krise in die nächste, bevor sie schließlich einer Leberzirrhose erlag. Als sie starb, war sie vierzig. Cleo war 18 Jahre alt gewesen.
»Das nenne ich Stil«, sagte Johnny und wechselte das Thema.
Cleo sah sich auf dem Foto an ihrem 13. Geburtstag. Stolz schnitt sie einen sternenförmigen, mit Smarties verzierten Kuchen an, offenbar entzückt angesichts ihrer Entscheidung, eine lila Bluse mit Puffärmeln und eine lila-grün karierte Weste zu tragen.
»Ich wage nicht, daran zu denken, was ich unten herum getragen habe.« Auf dem Foto stand sie hinter einem Tisch, aber Cleo konnte sich deutlich an die orangebraunen Cordhosen von C&A erinnern. Tja, aber das musste Johnny ja nicht erfahren.
»Ha!« Er lachte laut auf, als die verdammten Dinger auf dem nächsten Foto deutlich zu sehen waren.
»Oh, bitte, du warst auch nicht immer die Eleganz in Person.« Um sich zu
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